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Meinung: Unten, nicht unten durch

Der Sommer ihres Missvergnügens: Bush in Bedrängnis, dieDemokraten aus dem Tritt

Für Amerika ist der Sommer vorbei. Nicht nur, weil die Bilder von Tod und Zerstörung an der Golfküste jeden Gedanken an Urlaubsidylle verbieten. Heute ist „Labour Day“. Der erste Montag im September markiert zuverlässig den Beginn der neuen politischen Saison. Die Familien sind zurück im Schulalltag.

Präsident Bush fliegt zwar nochmal in die vom Hurrikan verwüsteten Gebiete. Er muss gegen den Eindruck kämpfen, die Führung versage bei der Katastrophenhilfe. Aber schon ist zu spüren, dass das politische Amerika sich anderen Themen zuwendet. Bedrohlich nah wirken die Mid-Term-Elections: die Neuwahl des Abgeordnetenhauses und eines Drittels der Senatoren am ersten Dienstag im November 2006. Die nächsten Monate sind vorentscheidend für Sieg oder Niederlage der Lager.

In Washington machten die Sonntagszeitungen nicht mehr mit „Katrina“, sondern dem Tod des Obersten Richters William Rehnquist auf. Der war seit 30 Jahren ein Grundpfeiler der Konservativen, Präsident Nixon hatte ihn 1972 nominiert, Ronald Reagan ihn 1986 zum „Chief Justice“ erhoben. Zum zweiten Mal binnen kurzem steht Präsident Bush vor der Herausforderung, einen obersten Richter zu benennen, der seine politische Agenda juristisch absichert, aber auch eine Chance hat, vom Senat bestätigt zu werden. Und das pünktlich zum ersten großen Showdown der Saison: der Anhörung von John Roberts morgen im Senat. Zwei Wochen vor Ferienbeginn hatte Bush ihn Mitte Juli als Kandidaten für die Nachfolge der zurückgetretenen Obersten Richterin Sandra O’Connor benannt. Das liberale Amerika sieht Minderheitenschutz und Abtreibungsrechte bedroht, mächtige Lobbygruppen rufen zur Ablehnung von Roberts auf.

Überhaupt könnte man den Eindruck gewinnen, Bush sei politisch am Ende. Seit Nixon hatte kein Präsident so schlechte Umfragewerte im Sommer nach der Wiederwahl. Gegen den Irakkrieg formiert sich Widerstand, sogar vor Bushs Ranch in Texas. Die trauernde Soldatenmutter Cindy Sheehan diktierte Bush im August die Agenda.

Die Bürger sind im Benzinpreisschock. Ein Drittel über dem Vorjahresniveau lagen die Preise zu Beginn der sommerlichen Reisezeit, das kreiden sie auch Bush an. Nun hat „Katrina“ die Ölförderung im Golf von Mexiko zunächst gestoppt, zahlreiche Raffinerien an der Küste zwischen Mobile, Alabama und New Orleans sind ausgefallen. 3,49 Dollar kostete eine Gallone (3,8 Liter) am Wochenende in Washington, 2004 waren es noch unter zwei Dollar.

Als „Katrina“ zuschlug, wurde es gefährlich für Bush. Erst am Mittwoch brach er seinen Urlaub ab, erst am Freitag ließ er sich an der Küste blicken. Ein Zauderer sei er, hieß es, der die Prioritäten nicht erkenne, keine Führungsqualität habe. Ein Mann ohne „compassion“, Mitgefühl, ein entscheidendes Attribut in Amerika. Wirkte er nicht hilflos und ratlos in den Notgebieten und vermochte keine Antwort auf die Frage zu geben, was Zehntausende Nationalgardisten im Irak zu suchen haben, wo sie doch so dringend daheim gebraucht werden?

Aber all das ist nur eine Seite des Bildes. Judge Roberts wirkt moderat und smart genug, um die Anhörung zu überstehen – alles andere wäre eine Sensation. Cindy Sheehans Protest hat Bush ausgesessen, er hat Recht behalten, sie ist nach ein, zwei Wochen von den Bildschirmen verschwunden.

Und wenn auch die Benzinpreise und das Budgetdefizit durch „Katrina“ deutlich steigen, jetzt hat der Präsident plötzlich eine Begründung, die die meisten Amerikaner mit Herz akzeptieren: Ihr werdet doch nicht an den Flutopfern sparen wollen?

Bush ist unten, aber noch nicht unten durch. Auf Europäer wirkt er hölzern und verbissen. Auch Amerikas Intellektuelle an der Ostküste wie in Kalifornien können ihm wenig abgewinnen. Aber er trifft einen Ton für die vielen Millionen in Amerikas ländlichem „Herzland“ zwischen den Küsten.

Der Opposition gelingt es nicht, von Bushs Problemen zu profitieren, nicht einmal beim Thema Irak. Die Demokraten können sich auf keinen klaren Alternativkurs einigen. Bushs Ansehenswerte sind schlecht, ihre sind bei vielen Themen noch schlechter. Der Herbst wird heiß.

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