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Urteil zum Sonntag: Pro Reli

Die Adventssonntage bleiben heilig und die Geschäfte geschlossen. Wie kann es sein, dass wir ein Minarettverbot als Verstoß gegen die Religionsfreiheit in der Schweiz kritisieren, wir uns aber andererseits von den Kirchen vorschreiben lassen müssen, wie besinnlich die Adventssonntage in Berlin zu bleiben haben?

Es war ein Dienstag wie jeder andere, aber die christliche Kirche in Deutschland hätte Grund gehabt, tüchtig die Glocken zu läuten. Sie hat im Namen der Religionsfreiheit vor dem Karlsruher Verfassungsgericht einen großen Sieg errungen, ausgerechnet gegen Berlin, gegen jene Stadt, die dem Glauben so wenig Raum zugestehen will, man denke nur an die Diskussion über den Religionsunterricht als Wahlpflichtfach, ganz zu schweigen vom Wunsch des Senats, das Beten in Schulgebäuden zu verbieten. Jetzt haben es die Kirchen von höchster Warte bescheinigt bekommen, dass Berlin in seinem Säkularisierungsdrang übers Ziel hinausgeschossen ist: Die Adventssonntage bleiben heilig und die Geschäfte geschlossen. Wenn es eine Ausnahme davon geben sollte, dann nur, um die Regel zu bestätigen.

Als Kaufhausverkäufer, Gewerkschafter, Gottesdienstbesucher oder Mensch mit Familie kann man das Urteil begrüßen. Als Einzelhändler, gestresster Kaufhauskunde, Nichtkirchengänger, als Mensch mit Familie oder ohne kann man es weltfremd finden. Im Ergebnis ist es ein Kompromiss, mit dem alle gut leben werden und mit dem man zur Tagesordnung übergehen könnte. Der Adventssamstag muss in der Vorweihnachtszeit eben wieder reichen.

Aufmerksamkeit jedoch gebührt weniger den – geringen – Folgen für die Berliner Ökonomie oder ein gedeihliches Familienleben als einem anderen, wichtigeren Aspekt: Wie kann es sein, dass wir ein Minarettverbot als Verstoß gegen die Religionsfreiheit in der Schweiz kritisieren, wir uns aber andererseits in Deutschland nicht vom demokratisch gewählten Abgeordnetenhaus, sondern von den Kirchen vorschreiben lassen müssen, wie besinnlich die Adventssonntage in Berlin zu bleiben haben? Wo bleibt die Religionsfreiheit jener Bürger, die von den christlichen Vorstellungen der Besinnung und Einkehr am siebten Tage verschont bleiben und shoppen möchten?

Die erste Adresse für diese Fragen ist von jetzt an Karlsruhe. Unterschätze niemand die beachtliche juristische Pirouette, die für das Urteilskunststück nötig war. Der Sonntag, heißt es in der Verfassung, ist der Tag der Arbeitsruhe und der seelischen Erbauung. Kein Wort vom Tag des Herrn, kein Wort von Weihnachten, keines von Jesu Geburt. Kein Wunder: Der Sonntag war dem Grundgesetz nie im eigentlichen Sinne heilig, weshalb man im Namen der Religionsausübung auch nie irgendeinen Anspruch dazu geltend machen konnte.

Seit dem Pro-Reli-Urteil von gestern ist das anders. Das Verfassungsgericht verweist ausdrücklich auf den christlichen Ursprung des Sonntagsschutzes und konstruiert den Kirchen so ein Klagerecht. Ein Land, das künftig seinen Ladenschluss neu regeln will, tut also gut daran, vorher die Bischöfe zu fragen, ob sie einverstanden sind. Ist das noch vereinbar mit den Ansprüchen an einen neutralen, säkularen Staat? Hier liegt der tiefere Grund dafür, weshalb drei Richter das Urteil ablehnen. Einer mehr, und die Berliner hätten ihre Adventsshoppingwochenenden behalten dürfen.

So profan die Materie Ladenschluss ist, das Karlsruher Diktum reiht sich ein in die Justierung des Staates zwischen Religion und Recht, dem Kernthema der Integrationsdebatte. Das Grundgesetz ist mit dem ausdrücklichen Plazet der obersten Richter nun beim Sonntag sehr kirchlich geworden. Doch sollte diese Frage – im Sinne der Religionsfreiheit aller Bürger – der einzige Fall sein, in dem das Christentum ein Vorzugsrecht genießt.

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