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Meinung: US-Wahl entschieden?: Leitartikel: Ein Ende, kein Anfang

Ja, es ist wirklich vorbei. Amerikas Nachwahlchaos ist zu Ende, weil dem Verlierer, Al Gore, kein juristischer Weg mehr offen steht.

Ja, es ist wirklich vorbei. Amerikas Nachwahlchaos ist zu Ende, weil dem Verlierer, Al Gore, kein juristischer Weg mehr offen steht. So einfach. So billig. Zwei Reden noch, zunächst die konziliante des Verlierers und dann ein Einheitsappell des Sieger George W. Bush, dann hat die Normalität, in die Amerikas Bürger seit langem abgetaucht sind, auch die Politik zurückerobert.

Drei Prinzipien haben über den Ausgang dieses bizarren Duells entschieden. Die Macht über die entscheidenden Institutionen - Landtag, Kongress, Gerichte - hatten die Republikaner. Inhaltlich ging es darum, ob Spielregeln oder Stimmen wichtiger sind. Gore sagte, absolut jede entzifferbare Stimme müsse gelten. Bush meinte, die Spielregeln am Tag der Wahl müssten Bestand haben. Drittens hat sich gezeigt, dass neben Volk, Senat und Repräsentantenhaus noch eine weitere Gewalt gespalten ist: die Justiz. Ein 5 zu 4 der obersten Bundesrichter, mit dem das 4 zu 3 der Oberrichter aus Florida ausgehebelt wird, lädt die Demokraten geradezu ein, die Richter zum Sündenbock zu machen. Die Gore-Getreuen werden sagen, der Supreme Court habe Terminnöte wichtiger genommen als Volkes Stimme. Richtig ist dies nicht. Die Regeln des Rechtsstaats, Einheitlichkeit und Verlässlichkeit, hat der Oberste Gerichtshof für wichtiger erklärt als eine möglicherweise übersehene Stimme mit maschinenunlesbaren Kratzspuren.

Muss alles, was war, und alles, was an Enttäuschung noch kommen wird, Amerikas neue Führung nicht dauerhaft schwächen? Gore wird Bush seine Unterstützung anbieten müssen, wie das guter Brauch ist. Doch es wird immer wahrscheinlicher, dass Gores Partei, die Demokraten, der eigentliche Sieger dieser unglückseligen Zitter-Wahl wird. Die Republikaner werden sich zerreißen. Formal kontrollieren sie mit Bushs Sieg alles: das Weiße Haus, den Senat und das Repräsentantenhaus. Die Mehrheiten sind indes so hauchdünn, dass zwei Bestrebungen aufeinanderprallen werden. Die Parteirechte will ein hartes Programm durchpeitschen, auf das Fraktionschef Tom DeLay die Abgeordneten bereits einschwört. Von Drang zur Mitte, zu Konsens und Überparteilichkeit ist auch im Senat nichts zu spüren. Trotz des 50 : 50-Patts und trotz zweier sterbenskranker Alt-Abgeordneter, deren Nachrücker vom jeweiligen demokratischen Gouverneur bestimmt werden, verteidigt Trent Lott seinen Titel Mehrheitsführer und den Vorsitz in jedem Ausschuss mit Zähnen und Klauen. Überparteilichkeit, Koalition, Kollaboration? Pustekuchen.

Dem steht Bushs Mittekurs entgegen. Der Gouverneur erbt als Präsident die schwierigste Bürde, seit Gerald Ford sich nach Richard Nixons Watergate ans Kehren machte. Wenn Amerikas Politik sich nicht völlig lähmen will, muss Bush Demokraten ins Kabinett holen und Konsens suchen, er muss Feinde umgarnen und Freunde verraten. Die große Steuersenkung, Rentenprivatisierung, Bildungsgutscheine, Schulgebet - nichts davon will die Mitte. Zwangsläufig verärgert Bush die Rechte - und seine Finanziers. Die rumoren nach den ersten Personalentscheidungen ohnedies.

Auch die Wirtschaft wird nicht ewig boomen. So ist die Ausgangslage bestens für eine demokratische Übernahme des Kongresses in zwei Jahren. Ein typisch amerikanisches Paradox: Dick Gephardt und Tom Daschle, die jeweiligen demokratischen Fraktionschefs, haben beste Aussichten, die Nutznießer der Gore-Niederlage zu werden. Bush muss unter einer Wolke von Anfeindungen und Unterstellungen von Illegitimität amtieren. Den Texaner könnte leicht das Schicksal seines Vaters ereilen, nach einer Amtszeit nach Hause geschickt zu werden. Auf beiden Seiten bringen sich schon jetzt die Nachfolge-Aspiranten in Stellung. Sie alle wissen, dass Amerika schlechte Jahre bevorstehen, in denen viel gestritten werden wird, aber wenig geschieht. Dies ist das eigentliche Erbe dieses Patts: Noch ehe Bush ins Weiße Haus einzieht, sägen die Profiteure des unentschiedenen Wahlausgangs bereits an seinem Stuhl. Die Welt wird mit einer Supermacht leben müssen, die sich in einem langen Interregnum befindet. In Krisen pflegen die USA sich aufzuraffen. Im Alltag glaubt das Land bedauerlicherweise, sich Lähmung leisten zu können. Amerika steht viel Alltag ins Haus.

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