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USA und Israel: Zwei kleine Großtaten

Barack Obamas erster Besuch in Israel, dessen Sinn anfangs kaum einer verstand, brachte Klarheit und Demut.

Zwei Ereignisse haben den Besuch von Barack Obama in Israel bedeutend gemacht. Zum einen die Rede, die der US-Präsident vor Jugendlichen in Jerusalem hielt. Zum anderen die Entschuldigung, die er Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu gegenüber der Türkei abtrotzte für den Tod von neun türkischen Gaza-Aktivisten im Mai 2010. Klarheit plus Demut: Das sind zwei selten gewordene Werte in der Region.

Zunächst die Klarheit. Viele Nahost-Diskussionen werden entweder historisch überfrachtet – von der Balfour-Deklaration bis zum Unabhängigkeitskrieg und dem UN-Teilungsplan, oder sie werden verrechtlich – ob die Westbank jemals zu Jordanien gehört hat oder der Gazastreifen zu Ägypten, und warum Siedlungen gegen das Völkerrecht verstoßen sollen. Manchmal wird auch der Sinn der Debatte bezweifelt – viel schlimmer ist doch, was in Tschetschenien und dem Sudan geschieht, und außerdem ist der Nahostkonflikt weltpolitisch gar nicht so relevant.

Obama ist es gelungen, jene einfache Frage wieder ins Zentrum zu stellen, um die es geht. Was soll mit den rund vier Millionen Palästinensern geschehen, die in Ostjerusalem, der Westbank und dem Gazastreifen leben? Israel hat drei Möglichkeiten. Erstens kann es sie vertreiben, die besetzten Gebiete „ethnisch säubern“. Das freilich wäre im höchsten Maße inhuman. Zweitens kann es sie bis in alle Ewigkeit beherrschen, kann Besatzungsmacht bleiben, einem ganzen Volk das Recht auf Selbstbestimmung verwehren. Das wäre die Perpetuierung des gegenwärtigen Unrechts. Oder es kann sich, drittens, räumlich von ihnen trennen und ihnen Souveränitätsrechte geben. Das liefe auf zwei Staaten hinaus, in welcher Form auch immer.

Nun gibt es für die israelische Regierung immer „gute Gründe“, warum das im Prinzip zwar stimmt, aber gerade jetzt leider nicht umzusetzen ist – kein palästinensischer Verhandlungspartner, zu instabile Nachbarn in Ägypten und Syrien, zu große Atomgefahr aus dem Iran. Doch nicht die Geopolitik bildet das größte Hindernis, sondern der Wille, der aus Einsicht resultiert. Obamas große Tat war es, an diesem Punkt wieder anzusetzen.

Sein zweiter Erfolg ist nicht minder brisant. Im Mai 2010 hatte die israelische Marine in internationalem Gewässer ein Boot jener Flottille geentert, die die Gaza-Blockade brechen wollte. Neun türkische Aktivisten wurden getötet. Netanjahu hat sich dafür jetzt beim türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan entschuldigt, die Familien der Opfer sollen entschädigt werden. Damit übernimmt Jerusalem ein großes Maß an Verantwortung für die Eskalation.

Gleichzeitig werden all jene in und außerhalb Israels düpiert, die die Schuld allein bei den Aktivisten verortet hatten. Obama hat durch seinen Appell an die Vernunft einen Keil getrieben zwischen die Rechtfertigungsreflexler, die so ziemlich alles legitimieren, was Israel tut, und die Mehrheit jener Israelis, die sich ihren Realitätssinn bewahrt haben und angemessene Reaktionen von unangemessenen unterscheiden können. So endete ein Besuch, dessen Sinn anfangs kaum einer verstand, mit zwei kleinen Großtaten.

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