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Auch Linken-Fraktionschef Gregor Gysi wird vom Verfassungsschutz beobachtet.

© dapd

Verfassungsschutz-Überwachung: Die Linken sind keine Opfer

Die Linkspartei beklagt ihre Überwachung. Zu Opfern macht sie das noch lange nicht: Der Verfassungsschutz darf auf Linken-Abgeordnete durchaus ein Auge haben – aber kein so großes.

Echte Opfer leiden still, ihnen fehlt die Kraft zum Jammern. Insoweit kann festgehalten werden: Als echte Opfer eines entfesselten staatlichen Überwachungsapparats, als die sie sich sehen, muss man die Linken nicht beklagen. Ihre gesunde, anhaltende und lautstarke Empörung über den Verfassungsschutz zeigt, dass ihnen das amtliche Stigma als Feinde der Grundordnung weder die Lust an Politik nimmt noch die Aussicht, dabei Erfolge zu erringen. Insofern täte es der Glaubwürdigkeit der Partei gut, ihre Kritik zu dämpfen und nicht zur Grundsatzfrage zu stilisieren, was keine sein kann.

Gewiss, Abgeordnete haben starke Rechte, das freie Mandat, Immunität, Indemnität. Sie sitzen in Ausschüssen, die ihrerseits wieder Geheimdienste kontrollieren sollen, da sieht es in der Tat wie ein Widerspruch aus, wenn der Staat seine Spitzel auf sie ansetzt. Andererseits hat sich die Bundesrepublik für eine wehrhafte Verfassung entschieden, die sogar ein Parteiverbot kennt. Das Parlament ist folglich kein Schonraum für extremistische Bestrebungen. Die Linksfraktion im Bundestag wäre schlecht beraten, dies erreichen zu wollen; sie müsste sich dann konsequenterweise auch für eine NPD stark machen, die für sich dieselben Rechte reklamieren könnte.

Es ist wohl auch so, dass Eingriffe in die Abgeordnetenrechte verschmerzbar sein können. „Beobachtet“ zu werden, diese Anklage beschwört das Bild vom großen Bruder, der einen nicht aus den Augen lässt. Tatsächlich beschränkt sich die Ausforschung der Bundestagslinken wohl auf das Sammeln von Zeitungstexten und Redeschnipseln. Im Grunde beobachtet der Verfassungsschutz Beobachter dabei, wie sie die Linke beobachten. Und schneidet dann Textstellen aus, in denen von der Diktatur des Proletariats die Rede ist oder wenn anstehende Revolutionen besungen werden. Es wird, buchstäblich, eine Art Altpapier recycelt. Das ist nichts, was ein gestandener Linkspolitiker bei seiner parlamentarischen Arbeit fürchten müsste. Anders sähen die Dinge nur aus, gäbe es, entgegen den Beteuerungen der Behörden, doch auch verdeckte Ermittlungen.

Trotzdem bleibt bei allem ein ungutes Gefühl, und man muss den Linken zugestehen, dass sie irritiert sein dürfen. Mehr als ein Drittel ihrer Fraktion steht unter Extremismusverdacht. Eine befremdlich hoher Anteil, bedenkt man, dass neben vereinzelter Umsturzlitanei das Radikalste an dieser Partei der Altersunterschied zwischen Oskar Lafontaine und Sahra Wagenknecht sein könnte. Zwischen rechter Hetze und linker Spinnerei zu unterscheiden, müsste auch und gerade einer zur Neutralität verpflichteten Behörde gelingen. Der Einsatz des Verfassungsschutzes wird vom Verhältnismäßigkeitsprinzip regiert, es gilt, sagt das Bundesverwaltungsgericht, dass er nicht als Munition im politischen Meinungskampf verwendet werden darf.

Gutgläubige Bürger, die wir sind, möchten wir nicht vermuten, es stecke System dahinter. Vielleicht ist der Verfassungsschutz einfach nur unfähig. Oder hat, wie Gregor Gysi sagt, „schlicht und einfach eine schwere Meise“.

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