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Verkehrspolitik: Mobilität auch morgen

City-Maut? Fahrradautobahnen? U-Bahn-Pauschalen? Der Verkehrsmix in den Städten muss in Zukunft nicht nur ökologisch, sondern vor allem auch sozial sein.

W ie an einer Schnur gezogen führt der Fahrradweg zwischen Häusern hindurch, über Straßen und vorbei an Fertigungshallen. Kreuzungsfrei. Mit einem Gefälle von maximal drei Grad ist er angenehm zu befahren, steht auf bis zu 15 Meter hohen Holzstelen und ist durch ein Geländer gesichert. Der Viadukt beginnt an einem schlossartigen Hotel am Stadtrand und endet in einer wuseligen Einkaufsmeile. Sieht so die Zukunft der urbanen Mobilität aus?

Nein, es ist die Vergangenheit. Die Errichtung des „California Cycleway“ von Pasadena nach Los Angeles begann 1899, doch nur ein Teil wurde tatsächlich errichtet. Der Fortschritt kam in Form des Automobils dazwischengefahren. Doch nun wollen die Städte zurück in die Zukunft, kaum jemand spricht noch von der „autogerechten Stadt“, die nach 1960 gerade in großflächigen Metropolen wie Los Angeles zum Paradigma wurde.

Der Klimawandel ist heute ebenso eine Realität wie die wiederkehrende Attraktivität der Innenstädte und der Wunsch nach individueller Fortbewegung. Über den Sinn einer Mobilitätswende herrscht weitgehend Einigkeit. Zeitsparend, vernetzt, ökologisch, für die gesamte Bevölkerung verfügbar: So soll der Verkehrsmix der Zukunft sein – und kostengünstig noch dazu. Geht all das zusammen, gerade vor dem Hintergrund des Fernziels einer postfossilen Mobilitätskultur?

In der „Leipzig Charta zur nachhaltigen europäischen Stadt“, 2007 von den EU-Staaten unterzeichnet, werden die Konzepte recht allgemein formuliert. Doch egal ob man diese Charta, Konferenzergebnisse oder Positionspapiere betrachtet, stets werden die gleichen Komponenten zukünftiger Mobilität genannt: Der Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel, Elektroautos, die am besten außerhalb der autofreien Innenstädte fahren, eine bessere Verzahnung der Fortbewegungsmittel sowie nutzungsgemischte Stadtquartiere. Und eben möglichst sichere, kreuzungsfreie Fahrradwege.

Die große Diskrepanz zwischen hehren Nachhaltigkeitsversprechen und politischen Realitäten spiegelt der „Nationale Radverkehrsplan 2020“. Darin wird eine Erhöhung des Anteils der Radfahrer am Verkehr bis 2020 von zehn auf 15 Prozent angeregt. Verleihsysteme sollen gefördert werden, ebenso das Miteinander durch höhere Strafen für unbelehrbare Kampfradler und Fahrradwegparker. Gleichzeitig senkt Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) den Radwege-Etat für 2013 auf 50 Millionen Euro, 2010 stand noch doppelt so viel Geld zur Verfügung. Den Ausbau sollen die Kommunen weitgehend alleine übernehmen. Deren Finanzsituation verheißt jedoch nichts Gutes. Im Berliner „Stadtentwicklungsplan Verkehr“ hat denn auch der „Abbau des Instandhaltungsrückstandes“ höchste Priorität.

Wie es anders geht, zeigt Kopenhagen. Die dänische Hauptstadt hat im Frühjahr eine überwiegend kreuzungsfreie Fahrradautobahn eröffnet, die von der Peripherie ins Stadtzentrum führt. Insgesamt sind 300 Kilometer Expresswege geplant. London und Melbourne denken über Viadukte nach, die an den „California Cycleway“ erinnern. Die Projekte sollen auch durch Nutzungsgebühren bezahlt werden. Das Grundproblem der Finanzierung ist jedoch nur eines von vielen. Harte Winter machen das alljährliche Radeln zur Tortur – und was ist mit Alten und Kranken, die in einer sich demografisch wandelnden Gesellschaft immer mehr werden? Berlin ist nicht Dubai (das übrigens sogar überdachte, klimatisierte Radwege baut), und die Unterschiede beschränken sich nicht aufs Klima. Denn wer glaubt schon, dass das großflächige Zupflastern der Hauptstadt mit Rad-Viadukten politisch durchsetzbar wäre?

Die nötigen Investitionen für einen ökologischen Verkehrsmix wären in jedem Fall gewaltig, selbst wenn man nur von einer Umwidmung von Straßen und Parkplätzen zu Fahrradwegen ausgeht, wobei der Platz innerhalb einer Stadt nun einmal begrenzt ist. Das Kostenargument gilt besonders auch für den öffentlichen Nahverkehr. Frei nach dem Motto: Eine fortschrittliche Stadt ist nicht eine, wo sogar Arme Auto fahren, sondern eine, in der auch Reiche Bus und Bahn benutzen. Der Lückenschluss der U5 in Berlin – es entstehen gerade einmal drei neue Stationen – kostet 430 Millionen und dauert im besten Fall mindestens sieben Jahre. Die Probleme der S-Bahn zeigen, wie groß der Investitionsbedarf heute bereits ist. In ganz Europa entstehen nur noch, wenn überhaupt, straßenbahnartige Light-Rail-Systeme, doch auch die sind teuer und in ihrer Kapazität begrenzt. Wenn also immer mehr Menschen in die ohnehin zu Stoßzeiten überfüllten öffentlichen Verkehrsmittel steigen sollen, deren Ausbau aber kaum noch möglich scheint, stellt sich die Frage, ob all die neuen Fahrgäste auf den Köpfen der alten sitzen sollen.

Die wahre Crux liegt jedoch in der sozialen Komponente. Der Preis für eine Monatskarte fürs Berliner Stadtgebiet ist in den vergangenen zehn Jahren um 38 Prozent gestiegen. Die Reallöhne in Deutschland sanken im gleichen Zeitraum jedoch. Eine weitere Preissteigerung beim Personennahverkehr ist zu erwarten, wie das Bundesverkehrsministerium in einem euphemistisch „Chancen des ÖPNV in Zeiten der Renaissance der Städte“ überschriebenen Papier betont: „Eine verstärkte Nutzerfinanzierung ist unausweichlich, um die Deckungslücke im Nahverkehr zu schließen.“ Für wen genau bieten sich da Chancen, wenn im gleichen Text steht, dass sich wegen der steigenden Kosten die Attraktivität von Bussen und Bahnen verringern wird? Zumindest Hartz-IV-Empfänger bekommen vergünstigte Tickets, 36 Euro zahlen sie in Berlin für eine Monatskarte. Doch all jene, die auch nicht viel mehr Geld als die Hilfeempfänger haben, werden schon heute in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt.

Ähnlich sieht es bei der Deutschen Bahn aus. Für eine Fahrt über 101 Kilometer stiegen die Preise in den vergangenen zehn Jahren um 26,3 Prozent. Verwandtenbesuche in andere Bundesländer werden für immer mehr Menschen zu teuer. Falls die Entwicklung so weitergeht, wird das Unwort „Residenzpflicht“, in Deutschland bislang auf Asylbewerber angewendet, die ihren Landkreis nicht verlassen dürfen, einen unangenehmen Bedeutungszugewinn erfahren. Ob die Aufhebung des Bahnmonopols diese Situation entscheidend verändert, muss sich erst noch zeigen, wenn Reisebusse ab Januar 2013 der Schiene landesweit Konkurrenz machen dürfen.

Eine Gesellschaft, die immer schneller wird, dabei aber immer größere Bevölkerungsschichten von eben jener (auch bei der Arbeitssuche erwarteten) Mobilität ausschließt, schadet sich selbst. Inwiefern in Deutschland lebende Menschen ein Recht auf Mobilität haben, ist umstritten. Der Jurist Michael Ronellenfitsch hat schon in den 90er Jahren versucht, ein Menschenrecht auf Mobilität aus dem Grundgesetz abzuleiten, weit gekommen ist er damit nicht. Heute fordern vor allem Sozialverbände, die Piraten und die Linke kostenlosen Nahverkehr. Der Berliner Stadtentwicklungssenator Michael Müller (SPD) hat erst kürzlich auf der Konferenz „Städtische Energien“ betont: „Bezahlbare Mobilität ist eine Lebensgrundlage der Menschen. Sie ist Aufgabe der Politik.“

Die Vorstellung von Mobilität durchläuft einen Wandel, sie wird heute auch als Zugang zum Internet definiert, möglichst sogar unterwegs, mit eigenem Smartphone. Dass für junge Menschen, die vor allem online mobil sind, das Auto kein Statussymbol mehr ist, darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass es ein komplementärer Wunsch nach Mobilität ist: Ein Chat ersetzt nicht den klassischen Weg von A nach B. Wegen der Probleme beim Ausbau von Radwegen und Schienennetzen wäre jedoch auch eine City-Maut für Autos kontraproduktiv – gerade in einer Stadt wie Berlin, die mit 324 Autos pro 1000 Einwohner eine bemerkenswert niedrige Motorisierungsrate aufweist. Mit einer Maut würde neben all jenen Menschen mit niedrigem Einkommen auch noch die Mittelschicht in die Mobilitätsfalle gelockt.

Einige Metropolen erheben bereits eine City-Maut. In London kostet eine Fahrt in die Innenstadt tagsüber zehn Pfund. Der Verkehr ging um 15 Prozent zurück, ähnliche Preise und Erfahrungen hat auch Stockholm gemacht. Doch wer sich in London an die Grenze der Mautzone stellt, wird beobachten, dass spritfressende Großlimousinen weiterhin in die City donnern, ihren Besitzern macht die Maut nichts. Die sparsamen Kleinwagen dagegen bleiben draußen. Soziale Segregation per Mautgebühr mag die Stauzeiten verkürzen und möglicherweise als Erziehungsmaßnahme fruchten. Gerecht ist sie nicht.

Der Preis für einen Liter Superbenzin hat sich in den letzten zehn Jahren um bis zu 70 Prozent erhöht. Befürworter der City-Maut argumentieren, dass ihre Einführung den Druck auf Autofahrer und Industrie erhöhen würde, endlich sparsamere Autos zu favorisieren oder gleich auf Elektrofahrzeuge zu setzen. Nun kann man aber nicht dem alten Gaul den Gnadenschuss geben, solange sein Nachfolger noch Muttermilch trinkt. Individualverkehr bedeutet heute, in den Wintermonaten zumal, immer noch das eigene Automobil. Natürlich gehört dem klassischen Auto, das im Durchschnitt über 90 Prozent der Zeit nicht genutzt wird und viel Benzin verbraucht, nicht die Zukunft. Doch das Problem ist ja nicht das Individuelle am Verkehr, sondern das Eigentum an Verkehrsmitteln. Fahrrad- und Auto-Verleihsysteme sind vielerorts jedoch erst im Entstehen begriffen.

Sicher, das Ziel der Bundesregierung, bis 2020 eine Million Elektro-Autos über deutsche Straßen rollen zu lassen, ist ehrgeizig. Und spätestens dieses Ziel macht deutlich, dass Trippelschritte auf dem Weg zur Mobilität der Zukunft nicht ausreichen. Der große gesamtgesellschaftliche Komplex Energiewende muss um die Mobilitätswende ergänzt werden. Die beiden sind schon deshalb nicht voneinander zu trennen, weil sie sich gegenseitig bedingen. Will Berlin tatsächlich bis 2050 zur klimaneutralen Stadt werden, braucht es eine neue Mobilitätskultur. Wie weit der Weg ist, zeigt allein die Zahl der im Januar 2012 offiziell in Deutschland zugelassenen E-Autos: Sie liegt bei etwa 4500. Das ist aber international nicht einmal rückständig, sogar im innovationsfreudigen Schweden sind es nur 1300 Fahrzeuge.

Dabei sind die Chancen vielfältig. Energiekonzerne werden die E-Autos nicht nur als Kunden, sondern deren Batterien auch als Energiespeicher nutzen können. Unter dem Stichwort Intelligente Stromnetze (Smart Grid) könnten die Elektromobile als rollende Speicherkapazitäten dienen. Innenstadtverkehr kann außer der Maut auch über intensivere Parkraumbewirtschaftung funktionieren, die flexible Parkgebühren je nach CO2-Ausstoß des Fahrzeugs festlegt, solange es diesen noch gibt. Wenn Pedelecs hinzukommen – Fahrräder, die durch Muskelkraft und einen Elektromotor angetrieben werden und somit größere Distanzen zurücklegen können – lässt sich in etwa erahnen, wohin die Reise gehen könnte. Doch auch bezahlbarer städtischer Wohnraum gehört dazu. Wenn Pendler durch zersiedelte Bezirke an leer stehenden Bürotürmen vorbei zum Arbeiten in die Innenstadt fahren, ist das nicht ökologisch. Und wenn sie sich diese Fahrt nicht mehr leisten können, ist es vor allem nicht sozial. Diesem Wandel kann die ohnehin vorhandene Tendenz zur Regionalisierung zugute kommen. Die EU stärkt regionale Wirtschaftskreisläufe und die Verdichtung städtischen Raums findet Einzug in viele Infrastrukturprogramme.

Die Politik muss die Mobilitätswende mit einem großen Programm angehen. Schnell, sozial gerecht und ökologisch kann der Verkehr der Zukunft sein, nur ist der Glaube an eine günstige Mobilitätswende illusorisch. Ihre Finanzierung über Steuern wäre immer noch gerechter als eine über Instrumente wie City-Maut oder teurere U-Bahn- Tickets, denn dadurch werden Wohlhabende stärker in die Pflicht genommen. Und so lange die Mobilitätswende auf sich warten lässt, müssen die Preise für den öffentlichen Nahverkehr reguliert werden. Eine indirekt durch Preissteigerungen eingeführte Residenzpflicht für viele wäre eine der größten Bankrotterklärungen für einen demokratischen Staat.

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