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Meinung: Versprechungen hier, Zumutungen dort

Angela Merkel soll den Osten retten – für Deutschland oder nur für die Union?

Von Matthias Schlegel

Fragt einer: „Wo geht’s denn hier zum Aufbau Ost?“ Antwortet ein anderer: „Da hinten, immer den Bach runter.“ Der Kalauer ist ein Evergreen: Man kann ihn seit anderthalb Jahrzehnten immer wieder bringen.

Im Osten wenig Neues: Auch vor den möglicherweise bevorstehenden Wahlen ist die Stimmung nicht gut. Ein wankelmütiges Wahlvolk und eine frustgeerdete Möchtegernpartei vermiesen den Politologen und Demoskopen die Verlässlichkeit ihrer Wahlprognosen.

Zweimal hat Gerhard Schröder die Wahlen im Osten gewonnen. Das dürfte sich vermutlich am 18. September 2005 nicht wiederholen. Für die Union allerdings ist das kein Trost – denn sie könnte diesmal die Wahlen im Osten verlieren. Dann nämlich, wenn es wegen der Stärke der neuen Linkspartei im Osten nicht zu einer schwarz-gelben Mehrheit im Bund reicht. Freilich könnte dann Angela Merkel wohl trotzdem Kanzlerin werden, aber eben nur in einer großen Koalition – mit einem ungeliebten Partner an der Seite.

Doch rechtfertigt solcherlei Wahlarithmetik, dass die Union wie auch die anderen Parteien die unberechenbare Wählerklientel in den neuen Ländern in besonderer Weise hätscheln? Dass die Strategen einen West- und einen Ostwahlkampf organisieren – Versprechungen hier, Zumutungen dort, Streicheleinheiten hier, Appelle dort?

Die Tatsache, dass es da eine neue, in allen Wählerschichten wildernde Konkurrenz am linken Rand gibt, mag solcherlei Versuchungen befördern. Doch das hieße, sich in Sachen Populismus gegenseitig zu überbieten. Die Lufthoheit über den Stammtischen ist ohnehin nicht mit Angeboten zu erobern, sondern nur mit Forderungen. Deshalb ist es vergleichsweise einfach, mit dem Versprechen einer starken Opposition für sich zu werben anstatt mit dem Versprechen des soliden Regierens. Seit sich die Erkenntnis durchzusetzen beginnt, dass wir es in Deutschland mit einer strukturellen Krise zu tun haben, relativiert sich das Problem Ostdeutschland – und weitet sich gleichsam aus: Es gibt keinen Grund, die schwächelnden Regionen im Osten den darniederliegenden Regionen im Westen vorzuziehen.

Das ist die eine Hälfte der Wahrheit. Und die andere: Schwächelt die größte zusammenhängende Krisenregion Deutschlands weiter, wird sie immerwährend zum Kostgänger des ganzen Landes, was dauerhaft nicht zu leisten ist.

Genau das muss der Wahlkampf verdeutlichen: Jede künftige Bundesregierung wird sich dem Osten und mit ihm jeder anderen am Boden liegenden Region so zuwenden, wie sie sich dem einzelnen Arbeitslosen zuwenden muss – ihm Hilfestellung geben, sich seinen Unterhalt selbst zu verdienen. Das kann man den Leuten in Ost und West genau so erklären.

Deshalb ist der Ansatz, dass nützlich nur das ist, was Arbeit schafft, so unabweisbar – käme er nur nicht so dröge daher und träfe er nicht genau jenen Nerv, an dem die Leute, vor allem im Osten, so empfindlich sind: Das erzählen sie uns doch nun schon seit Jahren, aber wo soll denn die Arbeit herkommen?

Angela Merkel soll den Osten retten – für Deutschland oder nur für die Union? Die Leute werden bei ihren Auftritten sehr genau hinhören. Spricht sie unsere Sprache? Ist sie noch eine von uns? Daraus könnte Sympathie wachsen. Mehr nicht. Vertrauen braucht gute Argumente. Die sind nicht ostdeutsch.

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