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Vogelgrippe: Angst vor der Supergrippe

Es herrscht Alarmstimmung unter den Seuchenschützern. Der Lebensretter Tamiflu wirkt nicht mehr umfassend. Falls das gefährliche H5N1-Virus lernt, effizient von Mensch zu Mensch zu springen, gibt es eine verheerende Influenzapandemie.

Um die Vogelgrippe ist es ruhig geworden. Auf Rügen gibt es in diesem Februar, anders als vor zwei Jahren, keine sterbenden Schwäne. Am Bodensee werden keine Uferareale wegen toter Tafelenten gesperrt. In den Stadtparks freuen sich die Wasservögel, weil wieder Kinder mit Brottüten kommen.

Doch die Frühlingsidylle täuscht. Das gefährliche Vogelgrippevirus vom Typ H5N1 treibt sich nach wie vor in der Fauna herum. Von Zeit zu Zeit befällt es Bestände von Hühnern, Enten und anderem Hausgeflügel. Vergangenen Sommer schlug der Krankheitserreger in zwei bayerischen Großbetrieben zu, im Dezember erwischte es drei Hühnerhalter in Brandenburg. Seitdem ist das Virus wieder abgetaucht.

Dasselbe Versteckspiel findet auf globaler Ebene statt. In Ländern mit schlechten hygienischen Verhältnissen sterben sogar, sehr selten, auch Menschen an der Vogelgrippe. Seit 2003 haben sich weltweit offiziell 366 Menschen mit dem Vogelgrippevirus H5N1 infiziert, mehr als die Hälfte davon sind gestorben.

Falls das gefährliche H5N1-Virus lernt, effizient von Mensch zu Mensch zu springen, gäbe es eine verheerende Influenzapandemie nach Art der „Spanischen Grippe“ von 1918 – damals wurde ein Drittel der Erdbevölkerung infiziert, etwa 60 Millionen Menschen starben. Ob H5N1 dazu biologisch in der Lage ist, weiß niemand. Doch ist das Killervirus derzeit der gefährlichste Kandidat für die nächste Pandemie.

Bis vor kurzem sah es so aus, als wären zumindest die Entwicklungsländer darauf einigermaßen vorbereitet. Sie haben Pandemiepläne gemacht und die antiviralen Medikamente Relenza und Tamiflu eingelagert. Tamiflu, das im Gegensatz zu Relenza als Kapsel eingenommen wird, gilt als wichtigster Lebensretter bei pandemischer Influenza.

Seit einigen Wochen herrscht jedoch Alarmstimmung unter den Seuchenschützern: Ende Januar entdeckten norwegische Ärzte bei ganz normalen Grippepatienten ein neues Influenzavirus, das gegen Tamiflu resistent ist. Der Erreger mit der Bezeichnung H1N1-H274Y ist durch eine Mutation aus dem saisonalen Grippevirus H1N1 entstanden. Es gab zwar schon länger vereinzelt Influenzaviren, gegen die Tamiflu wirkungslos ist. Doch war man bisher der Ansicht, diese resistenten Viren seien genetisch so stark verändert, dass sie nicht mehr ansteckend sind. Die jetzt gefundene Virusmutante hat sich jedoch bereits weltweit verbreitet, wie sofort eingeleitete Untersuchungen ergaben. Nach ersten Schätzungen liegt ihr Anteil an den H1N1-Viren bei fünf bis zehn Prozent, in einigen Ländern (Frankreich 39, Norwegen 66 Prozent) sogar deutlich darüber.

Zwar führt H1N1-H274Y nicht zu besonders schweren Erkrankungen und kann auch keine Pandemie auslösen. Doch muss jetzt befürchtet werden, dass auch ein künftiges Pandemievirus gegen Tamiflu resistent werden könnte – dann wäre das wichtigste Schwert gegen die Seuche stumpf geworden. Das zweite moderne Influenzamedikament, Relenza, ist keine vollwertige Alternative, weil es inhaliert werden muss und deshalb gerade bei Schwerkranken nicht eingesetzt werden kann.

Für die derzeit konkret befürchtete Pandemie durch ein verändertes Vogelgrippevirus vom Typ H5N1 gäbe es jedoch einen anderen, vollwertigen Schutz: Man könnte einen gegen H5N1 gerichteten Impfstoff auf Verdacht herstellen und einlagern. Mit diesem „präpandemischen Impfstoff“ ließen sich zumindest das Medizinpersonal und andere besonders gefährdete Personen schützen, um einen Zusammenbruch der Infrastruktur zu verhindern. Diesen Vorschlag hat die Schutzkommission bereits im Jahre 2006 der Bundesregierung unterbreitet – unter Hinweis auf mögliche Resistenzentwicklungen bei Tamiflu. Die Schweiz und viele andere Länder lagern inzwischen präpandemischen Impfstoff ein, das in Deutschland zuständige RobertKoch-Institut lehnt dies ab. Spätestens seit Auftreten der tamifluresistenten Grippeviren ist das nicht mehr zu verantworten.

Der Autor ist Institutsdirektor und Professor für Medizinische

Mikrobiologie in Halle. Foto: J. Peyer

Alexander S. Kekulé

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