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Meinung: Von den Zionisten lernen

Die „Alles-oder-Nichts-Politik“ hat uns Palästinenser in die Katastrophe geführt / Von Tawfiq Abu Bakr

Am 27. August 1897 fand in Basel der erste zionistische Kongress statt. Dort erklärte Theodor Herzl: „Wir werden innerhalb der nächsten 50 Jahre einen Staat gründen.“ Seine Worte waren damals nicht mehr als eine optimistische Prophezeiung, die sich in einen Alptraum hätte wandeln können, wäre die Politik der Zionisten nicht die richtige und unsere nicht die falsche gewesen.

Die Zionisten nutzten jede sich ihnen bietende Chance und verwandelten die Geschichte der 50 Jahre vor der Staatsgründung in eine Serie von Gelegenheiten, die sie beim Schopfe packten, um das Maximale herauszuholen. Dabei forderten sie an keiner Stelle das Unmögliche und niemals setzten sie die Ideologie an die Spitze ihrer Prioritätenliste. Vielmehr verfolgten sie eine pragmatische Politik. Unter Führung von David Ben Gurion entschied sich die maßgebliche Fraktion innerhalb der zionistischen Bewegung, alles daranzusetzen, einen jüdischen Staat auf irgendeinem Teil des ihnen angeblich versprochenen Landes zu errichten.

Dabei wurden sie von den Revisionisten beschuldigt, sich zu unterwerfen, nicht aufrecht für ihre Sache einzustehen, mit wenig zufrieden zu sein und dabei den Traum von der „Rückkehr nach Zion“ und die Errichtung eines Staates auf dem gesamten versprochenen Boden aufzugeben. Aufs Wort genau gleichen diese Anschuldigungen den Vorwürfen, die palästinensische Extremisten bis heute den moderaten Palästinensern machen. Hätte diese Fraktion die Oberhand bekommen, wäre der Staat Israel wohl niemals gegründet worden. Aber die Zionisten opferten das Unmögliche dem Möglichen. Oder wie es Ben Gurion 1937 formulierte: „Ich will einen Staat, irgendeinen, selbst wenn er die Größe einer Tischdecke hat.“

Zu jener Zeit ermöglichte unsere Führung ihnen den Erfolg, indem sie auf der „Allesoder-Nichts-Politik“ beharrte und jeden Kompromiss zurückwies – wie etwa den Vorschlag, einen Staat auf dem größten Teil Palästinas zu errichten. Unsere nach den Sternen greifende Führerschaft verwarf das Weißbuch von 1939, das den Juden die Einwanderung nach Palästina für die nächsten fünf Jahre verbieten sollte – obwohl doch die jüdische Einwanderung die Quelle allen Leids und die einzige menschliche Basis der Gründung ihres Staates war. Aber wir wiesen damals alles zurück und verspielten alle unsere Möglichkeiten. Das war die Katastrophe: alle unsere Chancen leichtfertig zu vertun, ungerührt und ohne mit der Wimper zu zucken. Hätten die Zionisten zu jeder Zeit eine Führung wie diese gehabt, hätten sie niemals einen Staat gründen können, ja nicht einmal einen halben.

Ich schreibe dies, weil ich optimistisch bin, was die derzeitige palästinensische Führung angeht, die 1974 entschied, die Alles-oder-Nichts-Politik aufzugeben und für das zu kämpfen, was möglich ist statt das Mögliche für das Unmögliche hinzugeben. Die palästinensische Führung hat sich lange daran gehalten und damit vieles erreicht: Sie hat einen Teil des Landes zurückerhalten und große Fortschritte bei der Errichtung eines nationalen Gemeinwesens gemacht.

Aber als Ende 2000 im Zuge der Clinton-Initiative die Staatsgründung zu einer realistischen Möglichkeit wurde und der Moment der Wahrheit kam, kehrten wir zur Alles-oder-Nichts-Politik zurück. Wir warfen unsere Positionen der letzten 30 Jahren über den Haufen und kehrten zum Punkt null zurück. Das ist die Katastrophe, die zur aktuellen Katastrophe führte, die in jedem Winkel unseres Landes zu spüren ist.

Ich schreibe diese Worte jetzt, da ich höre wie palästinensische Offizielle, darunter einige PLO-Mitglieder, ihre Auftritte bei den Satellitensendern nutzen, um von morgens bis abends hinauszuposaunen, dass Israel ein alternder Staat sei und kaum mehr als zehn Jahre überstehen wird, während wir noch in der Blüte unserer Jugend stünden. Es gibt wohl kaum Menschen, bei denen die Kultur des Selbstbetrugs stärker ausgeprägt und tiefer verwurzelt ist als in unseren arabischen und palästinensischen Gefilden. Die Menschen klammern sich an rosarote Träume, gaukeln sich selber vor, dass diese Wirklichkeit sind und scheitern dabei, auch nur einen einzigen ihrer Träume zu verwirklichen.

Nationen, Gesellschaften und Individuen flüchten sich in Momenten der Schwäche gleichermaßen in Tagträume. Anstatt sorgfältige und ernsthafte Arbeit aufzubringen, erschaffen sie sich neue Wirklichkeiten, die die Maßstäbe verkehren und immer wieder Illusionen über des bevorstehenden Zusammenbruch des Feindes entstehen lassen. Aber nach mehr als 30 Jahren dauert die Besetzung unseres Landes immer noch an.   

Es gibt also keine andere Lösung als einen Interessenausgleich. Es gibt keinen anderen Weg als in zwei Staaten zusammenzuleben. Dies wäre eine Art Vorstufe, die Jahrzehnte andauern könnte, bevor wir in einem gemeinsamen demokratischen Staat miteinander leben können. Wir alle müssen – besser heute als morgen – zu dieser Überzeugung kommen. Wenn nicht, wird das Blutvergießen im Land der Propheten in den kommenden Jahrzehnten weitergehen. Nur um am Ende zur selben Lösung zu gelangen: Wenn keine Seite die andere ausschalten kann, muss man zusammenleben.

Warum stoppen wir nicht das Blutvergießen und geben unseren beiden Völkern Hoffnung? Warum verherrlichen wir diejenigen, die den Tod lieben und nicht diejenigen, die das Leben wollen? Das ist die große Frage. Und die größte Herausforderung, der wir uns alle gegenübersehen.

Der Autor ist palästinensischer Kolumnist. Dieser Beitrag erschien anlässlich des 106. Jahrestags des 1. Zionistischen Kongresses in Basel in der palästinensischen Tageszeitung „Al Ajjam“. Übersetzung: MEMRI

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