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Meinung: Vorauseilende Resignation

Kurt Beck und die Unterschicht: Macht Hartz IV wirklich faul?

Macht die große Koalition depressiv? Oder kommt man als SPD-Vorsitzender zu Einsichten, die einem Ministerpräsidenten ohne höchste Parteiweihen verschlossen waren? Kurt Beck hat am Wochenende deutlicher denn zuvor ein wachsendes Unterschichtenproblem in unserem Land beklagt. Es gebe zu viele Menschen, die keinerlei Aufstiegshoffnungen mehr hätten und sich materiell und kulturell in dieser Selbstbescheidung einrichteten, sagte er der „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“. Sie interessierten sich auch nicht mehr dafür, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass ihre Kinder das Leben erfolgreich meistern könnten.

Der Wunsch von Eltern, dass es ihren Kindern einmal besser gehen möge, ist eine der stärksten Antriebskräfte für sozialen Aufstieg. Vater und Mutter von Kurt Beck – er ist Jahrgang 1949 – taten sich damit vermutlich leichter als viele Eltern heute. Ihr Sohn trat in einer Zeit der Vollbeschäftigung ins Berufsleben. Heute dagegen, in der Ära der Globalisierung und nach dem Zusammenbruch der Blöcke, gelten alte Gewissheiten nicht länger. Den Eisernen Vorhang, auf dessen richtiger Seite man vor 1989 nur geboren werden musste, gibt es nicht mehr. Jugendarbeitslosigkeit ist eine drückende Perspektive für viele Schulabgänger.

Staat und Wirtschaft gelingt es nur in mühsamer Klein-Klein-Arbeit, Verbesserungen zu erreichen – wer wüsste das besser als der Ministerpräsident eines eher mittelständisch strukturierten Bundeslandes? Und einen anderen Ausweg als den Wegzug würde Kurt Beck einem Jugendlichen aus Mecklenburg-Vorpommern auf der Suche nach einer Lehrstelle auch nicht aufzeigen können.

Aber kann man aus einer zugegeben schwierigen Ausgangslage wirklich nur den Schluss der vorauseilenden Resignation ziehen? Gibt Hartz IV, bei aller Klage über die Beschränktheit der Mittel, doch so viel persönlichen Spielraum, dass es interessanter sein kann, sich darin einzurichten, als einen Ausweg zu suchen? Das ist offenbar nicht selten. Da sind zum Beispiel jene Sozialhilfe-Karrieren in Großstädten, bei denen die Arbeitslosigkeit genauso klag- wie perspektivlos in die nächste Generation weitergereicht wird. Aber Unternehmen, die viel mit Arbeitslosen zu tun haben, berichten ganz im Gegenteil, dass der weitaus größte Teil der Arbeitslosen an einer geregelten Tätigkeit brennend interessiert ist. Bei Freiwilligenagenturen engagieren sich zum Beispiel zu mehr als 40 Prozent Arbeitslose. Immer noch aber schämen sich viele Menschen sowohl ihrer Arbeitslosigkeit als auch der damit verbundenen Armut, berichten karitative Organisationen.

Wie man aus dieser Misere herauskommt, weiß Kurt Beck aber auch. Ohne Leistungswillen geht es nicht, sagt er, Leistung müsse sich eben wieder lohnen.

Endlich die Voraussetzungen dafür zu schaffen, wäre ein schönes Betätigungsfeld für eine große Koalition, die nicht nur Kurt Beck depressiv stimmt.

Gerd Appenzeller

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