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In Berlin fehlt es an Wohnraum. Sind Kleingartenanlagen da noch zeitgemäß?

© dpa

Verdichtung in Berlin: Wohnraum statt Kleingärten

In Berlin wird's enger, lauter, voller: Bis 2025 erwarten Experten rund 250.000 neue Hauptstadtbewohner. Wo sollen die bloß alle hin? Bei einer Tagesspiegel-Debatte in der Urania gab es darauf originelle Antworten.

Immer mehr Berliner sehen beim Blick aus dem Fenster statt der vertrauten Wiese einen Neubau. Denn bis 2025 werden rund 250.000 neue Hauptstadtbewohner erwartet und auch die brauchen ein Dach über dem Kopf. „Wohnungsbau und Nachverdichtung: Fluch oder Segen für die Bestandsquartiere?“ war der Titel einer Diskussionsveranstaltung von Architektenkammer und Tagesspiegel am Montagabend im bis auf den letzten Platz besetzten Kleist-Saal der Urania.

„Es wird enger, es wir lauter, die S-Bahn wird voller, da ist es manchmal äußerst schwer zu vermitteln was es an Positivem birgt“, sagte Senatsbaudirektorin Regula Lüscher.  Für sie ist die Nachverdichtung dennoch „ein Segen und der richtige Weg“. Sie  bringe nicht nur zusätzlichen Wohnraum, sondern ordne die bestehenden Quartiere auch neu, sagte sie auf der von Gerd Nowakowski, Leitendem Redakteur des Tagesspiegels, moderierten Veranstaltung. Alters- und Sozialstruktur in den Siedlungen könnten so verbessert werden.

Lüscher für völlig neue Wohnungstypen

Wichtig sei, dabei auch die Qualität des Wohnumfeldes für die bereits vorhandenen Mieter zu verbessern, sagte Lüscher. Es gefalle niemandem, wenn ihm eine zusätzliche Häuserzeile vor die Nase gesetzt werde. Völlig andere Wohnungstypen seien gefragt. Als Beispiele nannte sie Punkt-Hochhäuser oder „eine Nachverdichtung die sich ganz niedrig, wie ein Teppich zwischen die Zeilen legt.“ Auch Aufstockungen oder Anbauten an den Enden bestehender Wohnzeilen, zwischen denen beispielsweise Mietergärten entstehen könnten. Für die Landschaftsarchitektin Barbara Hutter „wunderbare Möglichkeiten“, die oft parkartigen Freiflächen zwischen den Wohnhäusern neu zu entwickeln.

„Wenn wir über Bevölkerungswachstum reden ist die Nachverdichtung das Thema schlechthin“, so auch Lars Ernst, Vorstand der Wohnungsbaugesellschaft Mitte (WBM). 70 mögliche Verdichtungsflächen habe man allein in Mitte und Friedrichshain ausgemacht, in den 15 der Prioritätsstufe 1 ließen sich knapp 1000 Wohneinheiten realisieren. Dabei seien die Potenziale durch Aufstockung oder Rückumwandlung von Gewerberäumen noch nicht berücksichtigt.

Ernst erwartet, dass es zu Auseinandersetzungen mit den Bestandsmietern kommen wird. „Ich gehe fest davon aus, dass wir dort Konfliktpotenzial haben, je stärker wir verdichten.“ Die Menschen müssten aber erkennen „dass wir alle zusammenrücken müssen für die wachsende Stadt, mit allen Chancen, die damit verbunden sind“.

"Viele wollen mit Grün vor der Tür leben"

„Wenn man über kostengünstigen Wohnungsbau spricht, muss man auch über Dichte sprechen“, so Regula Lüscher. Sonst würden alleine die Erschließungsabgaben doppelt so hoch, die Wohnungen entsprechend teuer. Sie verwies darauf, dass sich in Berlin der Quadratmeter-Verbrauch pro Kopf in den letzten Jahren verdoppelt habe und damit auf gleicher Wohnfläche nur noch die Hälfte an Menschen lebe. „Wenn jeder zehn Prozent weniger nutzen würde, hätten wir kein Problem“, sagte Lars Ernst. Dann wären in Berlin 190.000 Wohneinheiten verfügbar.

Für den WBM-Chef sind Trabantenstädte keine Alternative, denn „die Menschen wollen dort wohnen wo sie arbeiten und ohne Auto ihr Umfeld erschließen können“. Gerd Unger von der Groth-Gruppe teilte diese Meinung nicht. „Viele wollen auch mit Grün vor der Tür leben.“ Für die geplanten Wohnungen auf dem ehemaligen Übungsgelände der US Army in Lichterfelde gebe es bereits vor dem Baubeginn zunehmende Nachfrage.

Kontrovers wurde die Frage diskutiert, ob Schrebergärten in der Innenstadt noch zeitgemäß sind. „Der Druck auf die Freiflächen wird immer größer“, sagte Marc Schulte (SPD), Stadtentwicklungs-Stadtrat in Charlottenburg-Wilmersdorf. Schon jetzt sei beispielsweise im Lietzenseepark am Wochenende Gedränge statt Flanieren angesagt. Er verwies auf einen einstimmigen Beschluss der Bezirksverordneten, alle bestehenden Kleingartenflächen zu schützen. Diese müssten aber noch mehr für die Allgemeinheit geöffnet werden.

Kleingärten? "Nicht mehr hinnehmbar"

Schulte hält zumindest eine Randbebauung der an Autobahn oder Hauptverkehrsstraßen grenzenden Flächen schon wegen der Abschirmung des Lärms für sinnvoll. Für Gerd Unger sind die Parzellen dagegen ein Relikt aus der Nachkriegszeit, wo sie der Selbstversorgung der Bevölkerung dienten. In einer Millionenmetropole seien sie heute im innerstädtischen Bereich „nicht hinnehmbar“.

Aus dem Publikum wurde mit der Frage gekontert, warum trotz der knappen Flächen für den Wohnungsbau überall in der Stadt riesige eingeschossige Discountmärkte mit großen Parkplätzen entstehen können. Stadtrat Schulte fand den Gedanken, diese mit mehreren Wohngeschossen zu überbauen, interessant, verwies aber auf die Problematik des Wohnungsbaus in Gewerbegebieten.

Rainer W. During

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