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Meinung: Wahlen in Polen: Eine Epoche wird besichtigt

Viel ist in diesen Tagen von grundstürzenden Veränderungen die Rede - nichts sei nach dem 11. September mehr, wie es vorher war.

Viel ist in diesen Tagen von grundstürzenden Veränderungen die Rede - nichts sei nach dem 11. September mehr, wie es vorher war. Ein Blick nach Polen zeigt: Selbst große historische Bewegungen unterliegen der Vergänglichkeit. Die gestrige Parlamentswahl schließt das Kapitel der Solidarnsc, einer Kraft, die Weltgeschichte geschrieben hat. Die Gründung der ersten freien Gewerkschaft im Ostblock 1980 leitete den Sturz der Diktatur ein, in Warschau stand 1989 folgerichtig der erste Runde Tisch; Polens Kommunisten mussten als Erste auf ihr Machtmonopol verzichten.

Zwölf Jahre später hat die demokratische Revolution ihre Kinder endgültig gefressen. Mit einem triumphalen Sieg kehrt die ex-kommunistische Linke an die Regierung zurück - was freilich nichts ändert an Polens Verankerung im Westen und seiner zwei Jahre jungen Nato-Mitgliedschaft; den Weg in die Europäische Union beschleunigt es wohl sogar. Soweit ist alles normal. Jede Wahl in Osteuropa brachte den Machtwechsel: von rechts nach links und beim nächsten Mal wieder zurück von links nach rechts.

Doch diesmal hat sich mehr verschoben. Es geht nicht allein darum, dass die nationalbürgerliche Koalition aus dem Wahlbündnis Solidarnosc (AWS) und der liberalen Freiheitsunion (UW) sich im Regierungsalltag verbrauchte, an zu ehrgeizigen, schlecht vorbereiteten Mammutreformen von der Territorialgliederung über Renten- und Gesundheitssystem bis zum Schulwesen verschliss und bereits vor einem Jahr auseinander brach. Sondern diese beiden Kräfte, die bedeutende Regierungschefs und Minister hervorgebracht hatten, sind dabei, in der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden. Sie haben es nicht verstanden, mit dem hohen Modernisierungstempo der Gesellschaft und Wirtschaft Schritt zu halten, hielten zu sehr an den überholten Trennungslinien der Vor- und Nachwendezeit fest.

Für die Zukunft sind andere Auseinandersetzungen entscheidend: Wie viel Staat, wie viel Selbstverantwortung? Und: Wie frei darf die Wirtschaft agieren? Die Politiker aus dem Ex-Solidarnosc-Lager, die von den alten Platzhirschen nicht eingebunden wurden, haben sich in der Bürgerplattform zusammengefunden. Sie ist der neue Gegenspieler der Linken. Eine Entwicklung, wie Ungarn sie bereits kennt. Dort brach das bürgerlich-nationale Sammelbecken, Jozsef Antalls Demokratisches Forum, nach der ersten Regierungsperiode auseinander. Der heutige Premier Viktor Orban formte seine Jungdemokraten (Fidesz) zur konservativ-liberalen Partei um und positionierte sie in der auf der Rechten entstandenen Lücke. Vor dieser Aufgabe steht in Polen jetzt die Plattform.

Die ex-kommunistische Linke in Osteuropa kennt diese Probleme nicht. Offenbar ist es einfacher, sich von einer gescheiterten Ideologie zu lösen und Pragmatismus zu lernen - aber weit schwerer, nach dem erfolgreichen Kampf gegen die Diktatur sichere Orientierung in einer freien Gesellschaft zu finden und den Konservativen zu geben.

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