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WAHLKAMPF 2013: Wie viele Briefwähler verträgt die Demokratie?

Die Ausweitung der Wahl per Post erlaubt viele Manipulationen.

Die Bundestagswahl findet am 22. September statt. So verkünden es alle, denen die Demokratie am Herzen liegt, seit Monaten. In Wirklichkeit hat die Wahl längst begonnen. Bereits seit Mitte August können die Deutschen ihre Briefwahlunterlagen beantragen. Seit 1. September können sie auch direkt im Bürgeramt ihrer Gemeinde wählen. In vielen steht sogar eine Wahlkabine.

Immer mehr Deutsche machen davon Gebrauch. Bei der letzten Bundestagswahl 2005 haben 9,5 Millionen Wähler schon vor dem Wahltag gewählt, das waren 21,4 Prozent aller Wähler, der Anstieg ist rasant. Seit 1990 hat sich die Zahl der Briefwähler verdoppelt. Als es 1957 das erste Mal möglich war, per Post zu wählen, waren es lediglich 4,9 Prozent.

Briefwahl ist bequem. Der Ausflug am Wahltag kann stattfinden, der Urlaub muss nicht verschoben werden, auch der Sonntag im Bett ist nicht gefährdet. Das Angebot, das ursprünglich nur für solche Wähler galt, die das Wahllokal aus wichtigem Grund nicht aufsuchen konnten, weil sie zum Beispiel gebrechlich sind oder arbeiten mussten, hat sich zu einem Anspruch der dauermobilen Spaßgesellschaft gewandelt. Seit 2008 muss der Briefwähler seine Gründe nicht mehr „glaubhaft“ machen. Und die Parteien werben mittlerweile offensiv für die Briefwahl.

Die massive Ausweitung der Briefwahl öffnet der Wahlmanipulation Tür und Tor. Briefwahlunterlagen können leicht kopiert und Vollmachten gefälscht werden. Wahlbriefe können auf dem Postweg „verschwinden“ oder im Reißwolf landen. Niemand kann kontrollieren, ob nicht die Pfleger im Altenheim, der Ehemann für seine Frau oder die Mutter für ihren Sohn das Kreuz auf dem Wahlzettel gemacht hat. Auch wenn Wahlhelfer der Parteien beim Ausfüllen der Briefwahlunterlagen behilflich sind, ist das Wahlgeheimnis nicht mehr garantiert. Und es sage keiner, dies seien unrealistische Horrorszenarien. Hat es alles schon gegeben. Das Bundesverfassungsgericht hat die Briefwahl in mehreren Urteilen dennoch für verfassungskonform erklärt. Sie diene dem Ziel, eine möglichst umfassende Wahlbeteiligung zu erreichen. Die Briefwahl trage dem Grundsatz der allgemeinen Wahl in erhöhtem Maße Rechnung, so die Karlsruher Richter in einem Urteil aus dem Jahr 1981.

Das Bundesverfassungsgericht sagt allerdings auch, durch die Briefwahl dürfe „keiner der vor allem das Demokratieprinzip konkretisierenden Wahlrechtsgrundsätze unverhältnismäßig eingeschränkt“ werden. In Artikel 38 Grundgesetz heißt es, „die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt“.

Als 1949 mit Blick auf die deutsche Geschichte diese Wahlrechtsgrundsätze formuliert wurden, da dachten die Väter des Grundgesetzes beim Thema Gleichheit an Einkommen, an Bildung oder den Berufsstand. Sie legten fest, jede Stimme zählt gleich. Es gibt keine Wahlmänner, deshalb ist die Wahl unmittelbar, und niemand wird wegen seines Geschlechts, seiner Rasse oder seiner Religion von der Wahl ausgeschlossen, deshalb ist sie allgemein.

Im 21. Jahrhundert jedoch vollziehen sich politische Prozesse gelegentlich unter starkem Zeitdruck, politische Debatten entfalten sich in rasendem Tempo, Wahlkämpfe konzentrieren sich auf die letzten Tage vor der Wahl. Es ließe sich also fragen, ob die Wahl noch allgemein, unmittelbar und gleich ist, wenn sich diese faktisch über drei Wochen erstreckt.

Wer zum Beispiel bereits Anfang September gewählt hat, der wusste noch nichts von einem drohenden Syrienkrieg und wie weit die Pläne für ein neues Rettungspaket für Griechenland fortgeschritten sind. Viele Details aus dem NSA-Skandal waren noch nicht enthüllt, manche Koalitionserwägungen von Union und CDU, FDP, Grünen und Linken noch nicht öffentlich. Auch Peer Steinbrücks Stinkefinger hatte noch keine Schlagzeilen gemacht. Vielleicht bereut mancher Früh-Wähler nun seine Wahlentscheidung. Pech, könnte man sagen, wer zu früh wählt, den bestraft das Leben.

Nur: Eine allgemeine, unmittelbare und gleiche Wahl setzt voraus, dass alle Wähler über den gleichen Informationsstand verfügen oder verfügen können. Wenn die Briefwahl nicht mehr die Ausnahme, sondern die demokratische Regel darstellt, ist dies nicht mehr gewährleistet. Dann unterhöhlt sie die Grundprinzipien einer demokratischen Wahl.

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