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Im Wahlkampf setzt Wowereit (im Bild mit Wirtschaftssenator Harald Wolf) inzwischen auch vermehrt auf wirtschaftliche Themen wie zum Beispiel Elektromobilität.

© dpa

Wahlkampf: Wowereit entdeckt die Wirtschaft

Berlin steht mit mehr als 60 Milliarden Euro Schulden da, aber immer noch ohne Geschäftsmodell. Lange scherte sich der Regierende Bürgermeister nicht wirklich darum. Doch langsam beginnt sich das Bild zu wandeln.

Berlin ist eine geschundene Stadt. Erst zerstört, dann geteilt. Die Konzerne flüchteten, zurück blieb Subventionswirtschaft im Westen und Planwirtschaft im Osten. Aufschwung fand anderswo statt. Mit dem Fall der Mauer, mit der Einheit musste alles schnell besser werden. Die Euphorie führte in den Ausgabenrausch. Jetzt steht das Land mit mehr als 60 Milliarden Euro Schulden da, aber immer noch ohne Geschäftsmodell. Das ist die Lage.

Lange scherte sich der Regierende Bürgermeister nicht wirklich darum. Klaus Wowereit machte die Kultur zu seiner Aufgabe, die Wirtschaft eher weniger. Doch langsam beginnt sich das Bild zu wandeln. Wie Hamburg schon im Jahr 2007 hat nun auch Berlin auf sein Betreiben hin seit vergangenem Jahr einen „Masterplan Industrie“, der den Weg bis ins Jahr 2020 weisen soll.

Besser spät als nie. Dass Berlin ohne mehr industrielle Wertschöpfung keine gute Zukunft haben kann, ist tatsächlich bei Wowereit angekommen. Von der Dienstleistungsmetropole ist keine Rede mehr. Auch in seinem Votum gegen ein ausgeweitetes Nachtflugverbot lässt sich seine neue Wirtschaftsaffinität ablesen.

Die Wandlung zum Industriefreund erfolgt fristgerecht. Bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus im September werden die Bürger darüber zu entscheiden haben, ob sie Wowereit zutrauen, die Stadt wirtschaftlich nach vorne zu bringen. Seine Herausforderin Renate Künast von den Grünen hat es ihm dabei bisher leicht gemacht. Für beide gilt, dass die Voraussetzungen selten besser waren als heute.

Denn Berlin ist zum Sehnsuchtsort geworden, der Anziehungskraft in der ganzen Welt entwickelt. Das hat auch mit Kultur zu tun, und insofern hat Wowereit auch richtig agiert. Wenn die klügsten Menschen der Welt gerne nach Berlin gehen, lässt sich daraus Kapital schlagen. Zugleich wandelt sich aber die Industrie in einer Weise, die perfekt zu Berlin passen würde. Das Bemühen um Nachhaltigkeit gehört plötzlich zum Kern des Wirtschaftens wie einst die rauchenden Schlote.

Elektromobilität ist so ein Thema, mit dem Berlin punkten kann. Der Anfang ist mit der eigenen Förderagentur gemacht. Wenn Berlin von der Nationalen Plattform Elektromobilität im Mai zur Modellregion gekürt würde, wäre das ein tolles Signal. Berlin würde zum Schaufenster einer Schlüsseltechnologie, nach und nach könnte sich mehr Wertschöpfung ansiedeln. Dass Parkraumbewirtschaftung nicht wichtiger als Stromtankstellen am Straßenrand ist, lernen die Bezirksbürokraten dann vielleicht auch noch.

Bis Berlin unterm Strich daran verdient, dürften allerdings noch Jahre vergehen. Schneller rechnet sich eine andere Entscheidung, wenn sie zugunsten Berlins ausfällt: Der Siemens-Konzern sucht nach einem Standort für seine neue, vierte Sparte. Alles wird umgruppiert, damit das Geschäft mit den Städten und mit der Infrastruktur eine eigenes Dach bekommt. Die gut 80.000 Beschäftigten der neuen Sparte stehen für einen Jahresumsatz von zuletzt 16,5 Milliarden Euro.

Alles spricht eigentlich für Berlin: In Berlin wurde Siemens einst gegründet, Siemens ist Berlins größter industrieller Arbeitgeber. Wenn es schon nicht gelingt, Siemens ganz aus München zurückzuholen: Jetzt ist gut ein Fünftel zu haben. Doch die Konzernstrategen schauen in andere Richtungen. Die Rhein-Ruhr-Region hat Siemens-Finanzvorstand Joe Kaeser in dieser Zeitung ins Gespräch gebracht, auch von London war die Rede und von Berlin nur am Rande. Das muss sich ändern. Der Erfolg in dieser Frage ist ein Wahlprüfstein für Wowereit.

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