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In Liberia sind ganze Landstriche vom Militär abgeriegelt worden, um eine weitere Ausbreitung des Ebola-Virus zu verhindern. In den abgeriegelten Orten werden aber schon nach wenigen Tagen die Lebensmittel knapp.

© dpa

Ebola-Krise in Westafrika: "Warum bekommen wir nicht, was die Weißen bekommen haben?"

Die Ebola-Bekämpfung wirft schwierige ethische Fragen auf. Wo endet die Freiheit des Kranken, und wo beginnen die Schutzrechte aller anderen? Ist es vertretbar, im Katastrophenfall Menschenversuche zu machen? Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Dagmar Dehmer

Ebola wirft eine Menge Fragen auf – auch ethische. Wie vertragen sich tödliche Infektionskrankheiten mit den individuellen Menschenrechten? Wo muss die Freiheit des Einzelnen hinter dem Wohl aller zurückstehen? Und ist es ethisch vertretbar, im Katastrophenfall unerprobte Arzneien quasi mit Menschenversuchen in Echtzeit zu testen?

Mit einigen dieser Fragen beschäftigt sich derzeit die Weltgesundheitsorganisation (WHO). Anfang kommender Woche will sie entscheiden, ob die bisher nur an Affen getesteten Seren, die ein an Ebola erkrankter amerikanischer Arzt und eine Krankenschwester eines Missionskrankenhauses in Liberia eingenommen haben, bevor sie in die USA transportiert worden sind, in größerem Stil getestet werden sollen. Ohne den Wagemut der beiden Amerikaner wäre das vermutlich nicht infrage gekommen. Denn Menschenversuche mit verzweifelten Schwerstkranken in Afrika verbieten sich von selbst. Das wäre reiner Rassismus. Doch die beiden amerikanischen Missionare haben die Debatte in Afrika gedreht. Nun fragen die Intellektuellen in Westafrika: Warum bekommen wir nicht, was die Weißen bekommen haben?

Die Weltgesundheitsorganisation steht vor schwierigen Entscheidungen

Die WHO steht vor einer schwierigen Entscheidung. Wären die beiden Amerikaner an Ebola gestorben, wäre die Debatte schnell zu Ende gewesen. Dann hätte der nigerianische Gesundheitsminister nicht angefangen, über Lieferungen des experimentellen Serums zu verhandeln. Doch die beiden scheinen das Schlimmste überstanden zu haben. Das kann auch daran liegen, dass sie vor ihrer Erkrankung gesund und gut ernährt waren und gleich beim ersten Verdacht professionell behandelt worden sind. Ob das Serum dazu irgendeinen Beitrag geleistet hat, nach dem Einsatz in zwei Fällen – das ist schwer zu sagen.

WHO-Chefin Margaret Chan hat einen internationalen Notstand ausgerufen. Sie hofft so Ebola wieder unter Kontrolle zu bringen.

© AFP

Das Problem für die WHO ist nun, dass der Verzicht auf den Einsatz plötzlich unter Rassismus-Verdacht steht. Und führt zu ganz neuen Abwägungen: Gibt es überhaupt eine nennenswerte Menge der neuen Arznei? Wenn es nicht allzu viel ist, was wahrscheinlich ist, wer bekommt das Mittel dann? Wie immer die Reichen, die bereit sind, dafür viel Geld zu bezahlen? Was immer die WHO kommende Woche entscheidet, wird ihr lautstarke Kritik einbringen. Denn richtig oder falsch liegen hier sehr nah beieinander.

Schwache Staaten, schwache Gesundheitssysteme

Weil die drei hauptbetroffenen westafrikanischen Länder Guinea, Liberia und Sierra Leone schwache Staaten sind, alle drei mit nicht lange zurückliegenden Bürgerkriegen gestraft sind und ein notorisch unzulängliches Gesundheitssystem haben, ist nicht damit zu rechnen, dass der weltweite Ebola-Notstand die Seuche schnell stoppen wird. Die Soldaten, die in Sierra Leone und Liberia die Krankenstationen schützen und einige Regionen komplett abriegeln sollen, werden das Virus ebenfalls kaum aufhalten können. Es ist sogar zu befürchten, dass das Sicherheitspersonal so verstärkter Ansteckungsgefahr ausgesetzt wird. Die Abriegelung ganzer Dörfer wird von den Bewohnern zudem als reine Schikane empfunden und hindert sie daran, das Überleben ihrer Familien beispielsweise durch den Handel mit ihren Produkten zu sichern.

In Deutschland gilt das Infektionsschutzgesetz

Ein Problem ist auch: Keines der betroffenen Länder, auch nicht Nigeria, wo inzwischen neun Ebola- Fälle bestätigt und mehr als 160 Fälle befürchtet werden, hat klare Regeln dafür, wo die Freiheit des Einzelnen im Falle einer ansteckenden, gefährlichen Krankheit endet. Und auch nicht, wie viel Schutz vor Ansteckung der Bevölkerung zusteht. Das Ergebnis ist im schlechtesten Fall reine Willkür.

In Deutschland ist dieser Konflikt hingegen klar geregelt. Das Infektionsschutzgesetz, das 2011 zuletzt geändert worden ist, fasst in den Paragrafen 28 bis 31 klar zusammen, welche Rechte ein Kranker in Deutschland in welcher Reihenfolge verliert, wenn er sich mit Ebola ansteckt, einem anderen hämorrhagischen Fieber oder an der Lungenpest erkrankt.

Das zuständige Gesundheitsamt darf ein Arbeitsverbot aussprechen. Wer im Verdacht steht, sich mit Ebola angesteckt zu haben, kann einer „Beobachtung unterworfen“ werden. Er muss also Untersuchungen dulden, muss Gesundheitspersonal ins Haus lassen, kann verpflichtet werden, einen Ort nicht zu verlassen und kann auch gezwungen werden, in einer Isolierstation eines entsprechend ausgestatteten Krankenhauses unter Quarantäne gestellt zu werden. Damit verliert der Kranke seine Rechte auf Kontakt mit der Außenwelt – außer mit Anwälten, Gerichten und Seelsorgern – und er kann auch zwangsweise isoliert werden, wenn zu erwarten ist, dass er sich den behördlichen Anordnungen widersetzt. Aber ein Recht bleibt dem Kranken: Er muss sich nicht heilen lassen.

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