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Kontrapunkt: Warum Gerald Asamoah sagen sollte, was er gehört hat

Über Rassismus im Fußball klagen Betroffene, seit der Ball rollt. Aber lange Zeit waren viele bemüht, solche Vorfälle herunterzuspielen. Jetzt ist die Debatte neu entbrannt. Nur die Beteiligten schweigen.

Was hat Kevin Großkreutz gesagt? Die Frage führt zunächst nach England. Der Student Liam Stacey hat seinen Rassismus gut dokumentiert; sein Twitter-Account ist ein Fest für jeden Anwalt. Zwischen all den menschenverachtenden Beleidigungen fällt die eine, wegen der er nun in Handschellen abgeführt und zu 56 Tagen Gefängnis verurteilt wurde, kaum auf: „LOL. Fuck Muamba he’s dead!!!“ Stacey meinte den in Kinshasa geborenen Fußballer Fabrice Muamba, der bei einem Spiel der Bolton Wanderers zusammengebrochen und mehr als siebzig Minuten klinisch tot war, dann aber gerettet werden konnte.

Über Rassismus im Fußball klagen Betroffene, seit der Ball rollt. Aber lange Zeit waren viele bemüht, solche Vorfälle herunterzuspielen. So behauptete FIFA-Chef Joseph Blatter, es gebe gar keinen Rassismus im Fußball, allenfalls „mal ein Wort oder eine Geste, die nicht ganz korrekt ist“. Die Beweislage ist oft schwierig. Von welchem Zuschauer kam die Beleidigung, die in einem Block zu hören ist? Was hat ein Spieler dem anderen zugeraunt?

Doch trotz – oder wegen – Blatters Unverschämtheiten ist die Sensibilität für Rassismus im Fußball größer denn je. So läuft in England derzeit ein weiteres brisantes Verfahren: Beschuldigt wird der Nationalspieler John Terry vom FC Chelsea, der Anton Ferdinand von den Queens Park Rangers rassistisch beleidigt haben soll. Die Football Association entzog Terry das Kapitänsamt, noch vor der Entscheidung in der Sache. Bereits zuvor war der Liverpooler Stürmer Luis Suárez zu acht Spielen Sperre verurteilt worden. Er soll Patrice Evra aus Manchester mehrfach als „negro“ bezeichnet haben. Suárez verteidigte sich damit, Evra habe ihn „Südamerikaner“ genannt.

Was hat Kevin Großkreutz nach dem Pokalsieg von Borussia Dortmund zu dem Fürther Spieler Gerald Asamoah gesagt? Asamoahs Mitspieler Mergim Mavraj behauptet, Asamoah sei von Großkreutz „wegen seiner Hautfarbe“ beleidigt worden. Der Aufsichtsratschef von Schalke, wo Asamoah lange spielte, nennt Großkreutz einen „Hassprediger“. Großkreutz dementiert. Asamoah schweigt.

In einem anderen Fall, Jahre her, hatte Asamoah gesprochen. Er gab an, der Dortmunder Torwart Roman Weidenfeller habe ihn „schwarzes Schwein“ genannt. Weidenfeller bestritt die Worte, nicht aber einen „Zwischenfall“. Offen blieb, ob er vielleicht auch „Schwabbelschwein“ oder „schwules Schwein“ gesagt hat. Der DFB sperrte ihn für drei Spiele.

Der Deutsche Fußballbund muss seine eigene Anti-Rassismus-Kampagne ernst nehmen, um selbst ernst genommen zu werden. Auch deshalb klagt er gemeinsam mit dem Spieler Patrick Owomoyela, heute bei Borussia Dortmund, gegen die NPD. Die hatte zur WM auf ein Plakat mit Owomoyelas Trikot geschrieben „Weiß – nicht nur eine Trikot-Farbe – Für eine echte Nationalmannschaft“. Das Verfahren wegen Beleidigung und Volksverhetzung geht in die dritte Runde, mit Vorteilen für Owomoyela, dem Mannschaftskameraden von Großkreutz. Was hat Großkreutz wirklich gesagt? Seit der Behauptung Mavrajs haftet der Rassismus-Vorwurf an ihm. Als „Großkotz“ und „Hooligan“ muss er leben und kann es auch, das ist sein Ruf, er pflegt ihn. Als Rassismusverdächtiger wird ihm das schwer fallen, bei Dortmund in einem Team mit Owomoyela, beim nächsten Spiel auf Schalke, in der Nationalmannschaft – überall.

Der Vorwurf Rassismus wiegt schwer; umso schwerer, je sensibler die Gesellschaft auf Rassismus reagiert. Falls Großkreutz sich rassistisch geäußert hat, gehört er bestraft; falls nicht, gehört er entlastet, auch im Sinne der Ernsthaftigkeit und Glaubwürdigkeit im Kampf gegen Rassismus. Rassismus ist konkret; der Fall Großkreutz hängt böse im Ungefähren. Gerald Asamoah sollte sagen, was er gehört hat.

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