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Meinung: Warum klappt nichts bei der S-Bahn?

Interview Michael Müller: Entscheidung zur S-Bahn vom 29. Mai Seit gut drei Jahren leidet der Berliner Nahverkehr unter den Leistungsdefiziten der S-Bahn.

Interview Michael Müller: Entscheidung zur S-Bahn vom 29. Mai

Seit gut drei Jahren leidet der Berliner Nahverkehr unter den Leistungsdefiziten der S-Bahn. Seit 2004 ist Herr Müller SPD-Landesvorsitzender. In Sachen S-Bahn habe ich höhere Erwartungen an die Regierungspartei SPD. Die Aussage „Eine so schwierige Entscheidung braucht Zeit“ ist Hohn für die vielen Fahrgäste, die tagtäglich auf die S-Bahn angewiesen sind. Die Zeit löst die Probleme nicht. Die Erwägung einer Ausschreibung für den Betrieb eines Teilnetzes lässt die Kosten für dann nötige doppelte Wartungsinfrastruktur und Reservefahrzeuge außer Acht. Woher sollte der potenzielle Betreiber des S-Bahn- Teilnetzes (Gleichstrom-Betrieb) die Kompetenz haben, wenn sie schon bei der BVG nicht ausreichend vorhanden sein soll? Über drei Jahre hat Herr Müller mit seiner SPD bereits verstreichen lassen, was hat er vor, bis 2017 zu tun?

Hartmut Pernotzky, Moabit

Sehr geehrter Herr Pernotzky,

Herr Senator Michael Müller hat recht, dass eine so schwierige Entscheidung Zeit braucht. Aber die hatte er, die hatte seine Verwaltung und die hatte die SPD. Der Vertrag, der Grundlage für den heutigen S-Bahn-Verkehr durch die Deutschen Bahn ist, wurde 2004 abgeschlossen. Seither ist bekannt, dass dieser Vertrag Ende 2017 ausläuft. Und spätestens seit dem Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 8. Februar 2011 ist bekannt, dass eine Vergabe der S-Bahn-Leistungen an die DB ohne Ausschreibung nicht zulässig ist.

Der Fahrgastverband IGEB forderte unmittelbar nach der Gerichtsentscheidung die Länder Berlin und Brandenburg erneut auf, sofort alle Weichen zugunsten einer Ausschreibung des Verkehrs der Berliner S-Bahn zu stellen – oder eine Landeseisenbahngesellschaft zu gründen, die im Direktauftrag den S-Bahn-Verkehr übernimmt. Rechtlich möglich wäre auch eine Übernahme der S-Bahn durch die BVG, aber das wird von uns als Fahrgastverband entschieden abgelehnt. Es darf im öffentlichen Nahverkehr Berlins keinen Monopolbetrieb geben. Im Übrigen weist Herr Senator Müller zu Recht darauf hin, dass eine S-Bahn-Übernahme „eine Riesenbelastung für die BVG – zeitlich und finanziell“ wäre. Am 7. Januar 2010 hatte seine Vorgängerin, Senatorin Ingeborg Junge-Reyer, einen Zeitplan vorgestellt: „Die Vergabe der Leistungen wird etwa anderthalb Jahre dauern, da den Unternehmen ausreichend Zeit gegeben werden muss, ein Angebot für derartig komplexe Leistungen zu kalkulieren. Zudem rechnen wir damit, dass die Fahrzeugindustrie etwa fünfeinhalb Jahre benötigt, um 190 Neufahrzeuge für die S-Bahn zu entwickeln, zu erproben und zu bauen. Wir müssen daher bis spätestens Januar 2011 entscheiden, ob und wie wir das mit Neufahrzeugen zu bedienende Teilnetz vergeben wollen.“ Tatsächlich wurden seither alle Voraussetzungen für die Ausschreibung eines Teilnetzes geschaffen, doch die für „spätestens Januar 2011“ versprochene Entscheidung hat der Berliner Senat noch immer nicht getroffen. Damit ist sicher, dass es bei der Berliner S-Bahn spätestens 2018 die nächste Krise geben wird: durch Fahrzeugmangel - verschuldet vom Berliner Senat. Der Deutschen Bahn kann man es nicht verdenken, dass sie kein Geld für neue Züge ausgibt, solange sie nicht weiß, ob sie die Berliner S-Bahn auch nach 2017 noch fahren darf. Wer glaubt, dass der Fahrzeugmangel durch einen längeren Einsatz der alten Fahrzeuge (Baureihen 480 und 485) ausgeglichen werden kann, täuscht sich und die Fahrgäste. Die alten Züge könnten nur mit hohen Kosten und großen Unwägbarkeiten auf das neue „Zugbeeinflussungssystem“ umgebaut werden. Dieses moderne Signalsystem wird von der DB nun endlich bis 2017 auf allen S-Bahn-Strecken eingebaut. Doch selbst wenn es ermöglicht würde, für eine Übergangszeit auf ausgewählten Strecken noch mit der alten Signaltechnik zu fahren, bliebe ungewiss, ob die alten Züge noch einmal so aufgearbeitet werden könnten, dass sie die Zulassung für einen Einsatz nach 2017 bekämen. Zumindest für die Baureihe 485 kann dies aufgrund der Auflagen des Eisenbahn-Bundesamtes ausgeschlossen werden, und auch bei der Baureihe 480 würde die Aufarbeitung für einen verlängerten Einsatz extrem teuer werden. Außerdem würde das bedeuten, dass der Fahrzeugmangel bereits 2016 beginnt, weil die Züge für die langwierige Aufarbeitung vor 2018 aus dem Verkehr genommen werden müssten. Und alle Züge, die nicht aufgearbeitet werden können, fehlen dann ab 2018. Herr Pernotzky, Sie beklagen zu Recht, dass der Berliner Nahverkehr seit gut drei Jahren unter den Leistungsdefiziten der S-Bahn leidet. Umso tragischer ist es, dass der Berliner Senat durch fehlende Entscheidungen schon jetzt den Grundstein für die nächste S-Bahn-Krise gelegt hat, denn wie man es auch dreht und wendet: Ein erneuter mehrjähriger Fahrzeugmangel bei der Berliner S-Bahn ist programmiert. Und jeder weitere Tag, an dem sich die Berliner Regierungsparteien SPD und CDU nicht einigen können, verlängert die S-Bahn-Krise der Zukunft.

— Christfried Tschepe, Vorsitzender des Berliner Fahrgastverbands IGEB e.V.

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