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Meinung: Warum Politiker meditieren sollten Stress und Freude haben feste Plätze im Gehirn

Von Alexander S. Kekule WAS WISSEN SCHAFFT Über kaum einen Gesichtsausdruck wurde so viel spekuliert wie über den des Bundeskanzlers, als er die Abgabe des Parteivorsitzes bekannt gab.

Von Alexander S. Kekule

WAS WISSEN SCHAFFT

Über kaum einen Gesichtsausdruck wurde so viel spekuliert wie über den des Bundeskanzlers, als er die Abgabe des Parteivorsitzes bekannt gab. Empfand er den Machtverlust als Niederlage? Oder war er vielleicht sogar erleichtert?

Einer hätte die Antwort wahrscheinlich gewusst. Aber der war bei der Bundespressekonferenz leider nicht dabei: Paul Ekman, Psychologieprofessor an der kalifornischen Universität in San Fransisco. Ekman fand heraus, dass winzige, ultrakurze Gesichtsbewegungen den wahren Gemütszustand eines Menschen ausdrücken. Diese unbewussten „Mikroexpressionen“, die kürzer als eine zwanzigstel Sekunde sein können, verraten auch in routinierten Pokergesichtern unzensiert die tiefsten Emotionen: Freude, Erleichterung, Frustration, Stress. Der biologische Lügendetektor hat jedoch einen Haken: Fast niemand ist in der Lage, die jedem Menschen ins Gesicht geschriebene Wahrheit zu lesen. Ekman benutzt dazu eine spezielle Videotechnik, die sehr kurze Bewegungen aufzeichnet.

Noch schwerere Technik setzen Neurobiologen ein. Mit Hirnstromkurven (EEG) und Magnetresonanz-Tomografien („Kernspin“) zeigten sie, dass bei Lust und Frust unterschiedliche Bereiche des Gehirns aktiv sind. Eine Schlüsselstellung hat der unmittelbar hinter den Augen gelegene „Präfrontale Kortex“ (PFC): Bei Depressionen, Wut und Stress ist der rechte PFC (gemeinsam mit dem tiefer im Gehirn liegenden „Mandelkern“) besonders aktiv, bei Freude und Tatendrang die Nervenzellen des linken PFC.

Das wirkt sich, wie eine aktuelle Untersuchung zeigt, direkt auf die Gesundheit aus. Wissenschaftler der Universität von Wisconsin stellten fest, dass Menschen mit höherer durchschnittlicher Aktivität im rechten PFC ein schwächeres Immunsystem haben: Nach einer Grippeimpfung produzierten sie deutlich weniger schützende Antikörper als eine Vergleichsgruppe mit überwiegend „linkslastiger“ Hirnaktivität. Einer der Wege, wie das Gemüt die Gesundheit beeinflusst, ist damit weitgehend aufgeklärt: Die Nervenzellen im rechten PFC, der bei Depressionen und Stress besonders aktiv ist, stimulieren die Ausschüttung eines Steuerhormons in der Hirnanhangsdrüse, das seinerseits in der Nebenniere Kortison freisetzt. Die Fehlregulierung des Kortisonspiegels ist für die meisten Stresserscheinungen verantwortlich, wie Anfälligkeit für Infektionen, Magengeschwüre und Schlafstörungen. Zusätzlich werden Nervenzellen im „Hippocampus“, einer für das Gedächtnis essenziellen Hirnregion, zerstört und der Energieumsatz des Gehirns reduziert. Lang anhaltender Stress führt deshalb zu Konzentrations- und Merkschwäche und beeinträchtigt die Fähigkeit, klare Entscheidungen zu treffen.

So gesehen ist das Trainieren des linksseitigen PFC auch Politikern durchaus zu empfehlen. Am besten geht das durch Meditation. In einer Studie mit 175 Testpersonen hatte ein tibetischer Lama die bei weitem stärkste Aktivität in der glücklich machenden Hirnregion.

Der Autor ist Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie an der Universität Halle-Wittenberg. Foto: Jacqueline Peyer

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