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Meinung: Was jetzt zu tun ist

Die große Koalition – sie muss viel anpacken, sonst endet sie klein

Sie hat 100 Tage. Nur 100 Tage, um nachzuweisen, dass sie es kann. Sie, das ist: die große Koalition. Die muss anpacken, sofort und professionell. Dabei kann sie ruhig mit der kühl-analytischen Nüchternheit der Naturwissenschaft vorgehen, kann vermessen und gewichten, aber sie muss es schnell tun, damit ein Momentum erzeugt wird, Bewegung ins Land kommt, um nicht von einem Ruck zu sprechen. Das Wahlergebnis hat genug ver-rückt. Ja, in diesem Fall ist Politik Physik: Kraft mal Weg durch Zeit ist Leistung.

Was jetzt zu leisten ist, hat mit dem zu tun, was sich Deutschland nicht mehr leisten kann: Kleinlichkeiten, Animositäten. Was jetzt Not tut, ist eine große konzertierte Aktion, nicht eine formale wie damals, in der ersten großen Koalition, sondern eine emotionale, die Kräfte bündelt, nach dem Motto: weil wir Deutschlands Kraft vertrauen. Dieses Vertrauen ist zu vielen Bürgern verloren gegangen, weil die Politiker – vermeintlich – zu wenig gehandelt hätten.

Erklärt wurde das mit der schwierigen Entscheidungsstruktur in Deutschland, mit der Machtteilung zwischen Bundestag und Bundesrat, den Einspruchsmöglichkeiten der Länder. Darum ist die erste Aufgabe: Die so genannte Föderalismusreform muss kommen – so weit wie möglich.

Und wenn sich die große Koalition im Bund nicht mit den Ländern zu einer ganz großen Koalition zusammenfinden kann, weil dem die unterschiedlichen Interessen auf dem Innovationsfeld der Bildung entgegenstehen – dann muss dieser Punkt ausgeklammert werden. Eine Lösung im Hinblick auf mehr bundesstaatlichen Einfluss wird sich mit der Zeit schon aufdrängen; der Prozess der Globalisierung erfordert höheres Entscheidungstempo und deshalb straffere Strukturen.

Die zweite Aufgabe ist, das Soziale wieder in der Gesellschaft zu verankern. Wobei verankern durchaus im doppeltem Wortsinn zu verstehen ist. Der zurückliegende, eigentlich ja mehrjährige Wahlkampf hat einen Begründungszusammenhang des Erfolgs deutscher Nachkriegspolitik, die Solidarität als Grundfeste, bröckeln lassen. Das Vertrauen darein, dass der Staat Stütze in Zeiten der Not ist, dass er das bezahlen kann, weil die Vorsorge entsprechend ist, ist erschreckend geschwunden. Dagegen helfen nur: zukunftsfeste Sozialsysteme. Nicht durch Lösungen für Marktpuristen, sondern durch Annäherungen an die Wirklichkeit. Zum Beispiel Transparenz und Kostensenkungen im Gesundheitsbereich: Der Arbeitgeberbeitrag kann eingefroren werden. Bei der Rente bedeutet Transparenz Ehrlichkeit. Das faktische Renteneintrittsalter muss erhöht werden, was bedeutet, dass die Renten nicht höher werden, im Gegenteil. Allein schon das durchzusetzen, bedarf es einer großen Koalition.

Die dritte Aufgabe, immerwährend und fortlaufend, ist ein Bündnis für Arbeit. Ein wirkliches. Einschränkungen im Tarif- und Arbeitsrecht zu Lasten einer Seite, der Arbeitnehmer und ihrer Vertreter, schürten das Misstrauen, das die Union so viele Prozente gekostet hat. Wichtiger ist deshalb, bei Steuern flexibler als bisher zu sein, moderner, vielleicht endlich orientiert am schwedischen Modell. Der Körperschaftsteuersatz niedrig, bei den 19 Prozent, die schon einmal vereinbart waren, ein unveränderter Spitzensteuersatz, aber auch eine Sonderabgabe für Innovation. Und eine um vier Punkte höhere Mehrwertsteuer, im Sinne der Transparenz, sprich Ehrlichkeit: weil es Masse zur Entlastung von Arbeitskosten geben muss. Dazu, am Rande, eine mit der Bundesratsmehrheit getragene erste Runde beim Subventionsabbau, 100 Posten für 100 Tage.

Und dann beten: dass Edmund Stoiber als Bundeswirtschaftsminister sein bayerisches Modell der nachhaltigen Sanierung des Haushalts exportieren kann. Wie groß der Erfolg der Koalition wird, hängt nicht zuletzt an ihm. Er ist ihr sozial-demokratischer Schattenkanzler.

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