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Meinung: Was Politiker von Ratten lernen sollten

Ohnmacht, nicht Macht führt zu Stresskrankheiten

Alexander S. Kekulé Der krankheitsbedingte Rücktritt von Matthias Platzeck bedient ein weit verbreitetes Klischee: „Zu viel Macht macht krank.“ Wie erst jetzt bekannt wurde, hatte der SPD-Vorsitzende und Ministerpräsident von Brandenburg in diesem Jahr bereits einen leichteren Hörsturz, einen Kreislaufkollaps und einen Nervenzusammenbruch erlitten, bevor ihn der aktuelle Hörsturz zum Schlussstrich zwang.

Stresskrankheiten scheinen bei Spitzenpolitikern Berufsrisiko zu sein. Ex-Kanzler Helmut Schmidt hatte einen Hörsturz und einen Herzinfarkt. Auch Otto Graf Lambsdorff von der FDP und Kathrin Göring-Eckardt von den Grünen konnten zeitweise kaum noch hören. Mit lebensgefährlichen Herzkrankheiten kämpften unter anderem die Politstars Horst Seehofer, Gregor Gysi und Hans-Dietrich Genscher. Ein Nachrichtenmagazin brachte den scheinbar offenkundigen Zusammenhang auf den Punkt: „Macht gefährdet Ihre Gesundheit!“

Tatsächlich steht seit den 80er Jahren fest, dass psychischer Stress zu körperlichen Schäden führen kann – davor galt die Begründung organischer Krankheiten durch psychologische Ursachen in der Medizin als unseriös bis esoterisch. Doch dann fanden ausgerechnet Naturwissenschaftler jene Verbindungen zwischen Körper und Geist, die von den ideologisch verfeindeten Alternativheilern schon lange vermutet wurden.

Wie sich zeigte, kann das Gehirn über Nervensignale und Hormone das Immunsystem steuern. Bei Stress aktivieren Nervenbahnen den „Hypothalamus“, einen Haufen spezialisierter Nervenzellen an der Unterseite des Gehirns. Der Hypothalamus regt daraufhin die Hirnanhangsdrüse zur Ausschüttung des Hormons ACTH an, das in den Nebennieren die Produktion von Kortison stimuliert. Ein zu hoher oder falsch regulierter Kortisonspiegel ist an der Entstehung fast aller Stresskrankheiten beteiligt: Die Aktivität des Immunsystems nimmt ab, die Blutfette steigen, der Bauchumfang wächst. Dadurch nehmen die Risiken für Infektionskrankheiten, Bluthochdruck, Kreislaufkollaps, Herzinfarkt und Hörsturz zu. Schließlich wirkt permanent erhöhtes Kortison auch auf das Nervensystem zurück: Es schädigt die Hirnregion des Hippocampus, die sowohl für das Gedächtnis als auch für eine gelassene Reaktion in stressigen Situationen essenziell ist – wer dauernd gestresst ist, kommt deshalb immer schlechter mit Stress zurecht.

Trotzdem ist die einfache Formel „Stress gefährdet die Gesundheit“ falsch – es kommt auf die Art des Stresses an. Wenn die Belastung kurz und aus Sicht des Betroffenen kontrollierbar ist, wie das Lampenfieber vor einer Theateraufführung, hat sie keine negativen Folgen. Schädlich ist dagegen „unkontrollierbarer Stress“, dem das Individuum hilflos ausgesetzt ist.

Die subjektive Bewertung ist sogar bei Tieren entscheidend. Amerikanische Verhaltensforscher traktierten Ratten in zwei Käfigen mit Stromschlägen. Beide Käfige waren im selben Stromkreis, so dass alle Versuchstiere genau gleiche Schläge bekamen. Es gab jedoch einen kleinen, psychologischen Unterschied: In einem Käfig befand sich ein Schalter, der den Strom unterbrach. Die eine Rattengruppe schaltete also (nach kurzer Lernphase) den Strom selbst ab, die andere erlitt hilflos ihre Qualen. Offenbar machte die subjektive Wehrlosigkeit den Nagern zu schaffen: Bei der Gruppe mit „unkontrollierbarem Stress“ zeigte sich bald eine deutliche Beeinträchtigung des Immunsystems, während die Ratten mit „kontrollierbarem Stress“ keinerlei Schäden davontrugen.

Was können Politiker von Ratten lernen? Macht ist nur für diejenigen gesundheitsschädlich, die ohnmächtig gegen den Dauerstress sind und keinen Ausschalter haben. Für andere ist Macht, wie der frühere US-Außenminister Henry A. Kissinger kolportierte, einfach nur „das beste Aphrodisiakum“.

Der Autor ist Institutsdirektor und Professor für Medizinische Mikrobiologie in Halle. Foto: J. Peyer

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