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Was WISSEN schafft: Biowaffe im Urlaub

Lange Zeit galt das Dengue-Virus als Tropenkrankheit. Die Industrienationen verschliefen die Impfstoffentwicklung. Nun gefährdet der seltsame Krankheitserreger Touristen.

Rund um den Globus gehen die Menschen derzeit auf die Straße, um gegen einen blutrünstigen Mörder zu protestieren. In Paraguays Hauptstadt Asunción versammelten sich die Verzweifelten vor dem Regierungssitz und hielten Transparente mit dem Konterfei des Bösewichtes hoch. In Karatschi, der größten Stadt Pakistans, forderten Aufgebrachte den Rücktritt der Provinzregierung, weil diese trotz zweistelliger Opferzahlen nichts gegen den Killer unternahm. In Singapur hängt der Steckbrief des Staatsfeindes an jeder Ecke. Besondere Kennzeichen: Klein und schwarz, mit dem Motiv einer weißen Leier auf dem Rücken – die Stechmücke Aedes aegypti ist weltweit auf dem Vormarsch. Mit ihrem Stich verbreitet sie das Dengue-Fieber, eine in den Tropen gefürchtete Infektionskrankheit.

Indonesien zählt dieses Jahr bereits 68.000 Erkrankungen, 748 Menschen starben. Auch Malaysia, Kambodscha und Vietnam melden zehntausende Dengue-Fälle. In Thailand stieg die Zahl der Opfer im Vergleich zum Vorjahr um mehr als ein Drittel, sogar das bislang verschonte, kühlere Bergland im Norden ist nicht mehr sicher. Die Ursache der Plage steht aus Sicht der lokalen Presse fest: Die Erderwärmung sei schuld, Hitze und starke Niederschläge hätten zur explosionsartigen Vermehrung der Moskitos geführt – die Klimaangst hat die Entwicklungsländer erreicht.

Das Dengue-Virus ist ein rätselhafter Krankheitserreger. Bei über 90 Prozent der Infizierten löst es nur ein harmloses Fieber aus oder bleibt sogar vollkommen unbemerkt. Nur selten tritt drei bis 14 Tage nach dem Mückenstich das typische „Knochenbrecherfieber“ auf, mit starken Gliederschmerzen und schwerstem Krankheitsgefühl. In Lebensgefahr sind nur wenige Prozent der schwer Erkrankten, bei denen das Fieber einen „hämorrhagischen“ Verlauf nimmt: Die Adern werden undicht, das Blut sickert in die inneren Organe und durch die Schleimhäute, es kommt zu Flüssigkeitsverlust und Schock.

Warum die Dengue-Infektion so unterschiedlich verläuft, und warum Touristen bislang fast nie daran sterben, ist erst seit wenigen Jahren bekannt. Vom Dengue-Virus existieren vier verschiedene Typen, die sich ursprünglich in den Tropenregionen von Südamerika bis zu den Philippinen kaum in die Quere kamen. Die erste Dengue-Infektion eines Menschen verläuft so gut wie immer harmlos und verleiht lebenslange Immunität gegen den betreffenden Virustyp. Gefährlich wird es bei einer zweiten Infektion durch einen anderen Dengue-Typ: Die Krankheit verläuft dann, durch eine Fehlreaktion des Immunsystems, wesentlich schwerer und endet mitunter tödlich. Besonders gefährdet sind Kinder und Jugendliche. Durch den weltweiten Flugverkehr haben sich inzwischen in vielen Tropenländern mehrere Virustypen eingenistet, schwere Erkrankungen nehmen deshalb unter der einheimischen Bevölkerung zu.

Die Industrienationen haben die Impfstoffentwicklung jahrzehntelang verschlafen, weil Dengue als reines Tropenproblem galt – erforscht wurde das Virus allenfalls als mögliche biologische Waffe. Mit der Beendigung der Biowaffenprogramme Ende der 60er Jahre stellten die führenden Dengue-Labore der USA ihre Arbeit ein – obwohl sich jährlich 50 bis 100 Millionen Menschen mit dem Virus infizieren. Erst seit kurzem sind, dank der Gates Foundation und anderer privater Stiftungen, endlich drei Impfstoffkandidaten in der klinischen Erprobung.

In Mitteleuropa wird sich das Dengue-Fieber, entgegen düsteren Prognosen einiger Fachleute, trotzdem nicht einnisten. Die Überträgermücke Aedes Aegypti brütet auf warmen Wasserpfützen in der Nähe des Menschen. Voraussetzung für Dengue-Epidemien sind deshalb große Hitze und hohe Luftfeuchtigkeit sowie herumliegender Müll, wie er für tropische Großstädte typisch ist. Auch an den aktuellen Ausbrüchen trägt das Klima höchstens eine Teilschuld; viel wichtiger sind das Wachstum und die schlechten Hygienezustände tropischer Metropolen.

Für Touristen wird Dengue dagegen angesichts der vielen Epidemiegebiete immer bedrohlicher. Auch eine Zunahme der gefährlichen Zweitinfektionen ist zu befürchten, weil Billigtarife zu wiederholten Fernreisen animieren. Die Impfstoffentwicklung tut deshalb Not, nicht nur für die Menschen in den Entwicklungsländern.

Der Autor ist Institutsdirektor und Professor für Medizinische Mikrobiologie in Halle. Foto: J. Peyer

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