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Was WISSEN schafft: Hoffen auf ein Wunder

Die einzige Möglichkeit, den Aidserreger HIV loszuwerden, ist ein Impfstoff. Doch von dem ist die Menschheit nach wie vor weit entfernt.

Für die Immunschwächekrankheit Aids war 2007 ein Unglücksjahr. Erstmals seit Ausbruch der Pandemie vor 26 Jahren ist die „HIV-Prävalenz“ – der prozentuelle Anteil der HIV-Infizierten an der Bevölkerung – weltweit zurückgegangen, auch in Afrika südlich der Sahara. Grund für Optimismus ist das allerdings nicht: In den am schwersten betroffenen Ländern nimmt die HIV-Prävalenz nur deshalb ab, weil die Zahl der Todesfälle höher ist als die der Neuinfektionen. Die Pandemiewelle wird zusätzlich abgebremst, weil die Risikogruppen vielerorts bereits infiziert sind – das Virus findet dort schlichtweg kaum noch gesunde Opfer, die es anstecken könnte.

Damit erreicht die Ausbreitung der Seuche einen stabilen Gleichgewichtszustand – das einstige Affenvirus hat sich beim Homo sapiens permanent eingenistet. Mit 2,1 Millionen Opfern pro Jahr ist es weltweit eine der wichtigsten, in Afrika sogar die häufigste Todesursache.

Die einzige Möglichkeit, den Erreger wieder loszuwerden, wäre ein Impfstoff. Bei den Pocken ist das bereits gelungen. Auch die Impfstoffe gegen Polio, Masern und Mumps könnten diese uralten Quälgeister eines Tages wieder in die Flasche zwingen. Doch wann kommt die Impfung gegen Aids?

Nach der Entdeckung des Aidserregers HIV im Jahre 1984 kündigten die damalige US-Gesundheitsministerin Margaret Heckler und der Virologe Robert Gallo großspurig an, ein konventioneller Impfstoff werde „in zwei Jahren“ verfügbar sein – ein folgenschwerer Irrtum, der wichtige Forschung nach Alternativen verzögert hat. Heute steht fest, dass alle bekannten Impfmethoden bei Aids versagen. Eine Armada von Wissenschaftlern forscht deshalb rund um den Globus an neuen Wegen, Menschen gegen HIV immun zu machen.

Die klassische Impfung verwendet Viren, die durch Hitze, Chemikalien oder genetische Verfahren abgeschwächt (attenuiert) wurden. Bereits im alten China rieben Ärzte getrockneten Wundschorf von Pockenpusteln in die eingeritzte Haut gesunder Menschen, um sie vor Pocken zu schützen. Derartige „attenuierte Lebendimpfstoffe“ rufen keine Krankheit hervor, lösen aber eine Immunantwort wie ein normales Virus aus: Nach Impfung mit attenuierten Masern-, Mumps- oder Rötelnviren etwa ist der Mensch geschützt, als hätte er die jeweilige Krankheit durchgemacht.

Doch entsprechende Tierversuche mit HIV in den 90er Jahren scheiterten an einer fatalen Eigenschaft des Aidserregers: Die attenuierten Viren veränderten blitzschnell ihr genetisches Material und wurden dadurch wieder zu normalen HI-Viren, die Versuchstiere bekamen durch die „Impfung“ Aids. Nach diesem Schock setzten die Impfforscher nur noch künstlich hergestellte Einzelbestandteile des Virus ein. Doch die einzelnen Proteine des HIV riefen keine ausreichende Immunantwort hervor, konnten also nicht vor einer Infektion schützen.

In diesem Dilemma setzen alle großen Impfstudien seit der Jahrtausendwende auf eine vollkommen neue, gewagte Technik: Die „Virusvektor-Vakzine“. Dabei werden Teile der Erbinformation des HIV in ein ungefährliches Virus eingebaut – etwa in ein Adenovirus, das harmlose Erkältungen verursacht. Wenn sich das mit HIV-Anteilen gespickte Adenovirus im Geimpften vermehrt, so die Idee, soll es nebenbei gegen HIV immunisieren.

Doch im Unglücksjahr 2007 brach auch diese Hoffnung zusammen. Es zeigte sich, dass der experimentelle Impfstoff nicht vor HIV schützt, im Gegenteil: Die Zahl der HIV-Infektionen nahm sogar zu – wahrscheinlich vermehrte die Stimulation des Immunsystems durch das Adenovirus ausgerechnet die Sorte weißer Blutkörperchen (T-Helferzellen), die von HIV infiziert werden können. Drei riesige Impfstudien mit tausenden Probanden mussten daraufhin abgebrochen oder abgesagt werden. Derzeit läuft nur noch eine einzige große Studie in Thailand, die statt Adenovirus einen anderen viralen Vektor verwendet. Es würde an ein Wunder grenzen, wenn dabei ein wirksamer Impfstoff herauskommt.

Die Aids-Impfstoff-Forschung muss 2008 wohl wieder ganz von vorne anfangen. Dazu braucht sie noch mehr Geld, noch bessere Ideen – und vor allem etwas mehr Glück.

Der Autor ist Institutsdirektor und Professor für Medizinische

Mikrobiologie in Halle. Foto: J. Peyer

Alexander S. Kekulé

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