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Was WISSEN schafft: Machtlos gegen Killerkeime

In wenigen Jahren werden multiresistente Keime, gegen die kein Antibiotikum wirkt, in ganz Deutschland zum Alltag gehören. Dann helfen nur noch akribische Krankenhaushygiene, Isolierung der Infizierten und aufwändige mikrobiologische Diagnostik.

Das Unheil lauerte in Griechenland, auf der sonnigen Ferieninsel Rhodos. Im Juni 2010 bekam ein Urlauber Fieber und musste ins örtliche Krankenhaus. Nach dem Rückflug ließ er sich an der renommierten Leipziger Uniklinik weiterbehandeln. Doch die Bakterien, die er aus der Ägäis mitgebracht hatte, waren gegen nahezu alle Antibiotika resistent. Der Patient entwickelte eine Lungenentzündung und die Bakterien begannen, über das Blut zu streuen. In solchen Fällen haben die Ärzte noch einen letzten Pfeil im Köcher, die „Carbapeneme“. Zum Entsetzen der Leipziger Spezialisten waren jedoch auch diese Reserveantibiotika gegen den griechischen Importkeim wirkungslos – der Urlauber verstarb unter den Händen der Universitätsärzte.

Doch das war erst der Anfang einer Tragödie, die zeigt, wie wehrlos selbst moderne Kliniken gegen resistente Bakterien sind. Der 2010 eingeschleppte Keim wurde Ausgangspunkt eines Ausbruchs, der bis heute nicht unter Kontrolle ist. Das Bakterium der Spezies Klebsiella pneumoniae produziert ein Enzym, das Carbapeneme zersetzt, die „Klebsiella pneumoniae Carbapenemase“ (KPC). Die Uniklinik Leipzig beteuert, sie habe den ersten Patienten sofort isoliert und alle notwendigen Hygienemaßnahmen eingeleitet. Trotzdem tauchte der KPC- Keim einige Wochen später wieder auf, andere Patienten der Uniklinik hatten sich damit infiziert.

Spätestens ab Oktober 2010 war klar, dass es sich um einen Ausbruch in der Klinik handelte, monatlich wurden bis zu zwölf neue KPC-Fälle nachgewiesen. Obwohl gemäß Infektionsschutzgesetz bereits der zweite derartige Fall „umgehend“ gemeldet werden muss, behielt die Leipziger Klinik den Vorfall erst einmal für sich. Im August 2010 waren in Mainz drei Säuglinge an bakteriell verunreinigten Infusionen gestorben. Hygienemängel an einer weiteren Uniklinik wären ein gefundenes Fressen für die Medien gewesen.

Auch als das Leipziger Gesundheitsamt schließlich im Januar 2011 von dem KPC-Ausbruch erfuhr, hielt man in Sachsen die Bälle flach. Die Öffentlichkeit wurde nicht informiert, von einem Bußgeld sah die Behörde im Hinblick auf die „gute kollegiale Zusammenarbeit“ ab. Inzwischen wurden mindestens 63 Patienten mit KPC infiziert, auch im vergangenen Monat gab es neue Fälle. Erst diese Woche ist das Robert Koch-Institut vor Ort, um – knapp zwei Jahre nach dessen Beginn – den größten KPC-Ausbruch Deutschlands zu untersuchen. 30 KPC-Patienten sind verstorben, die Staatsanwaltschaft hat Vorermittlungen aufgenommen. Da keine Sektionen durchgeführt wurden, dürften die Todesursachen im Nachhinein allerdings kaum noch beweisbar sein. Am Montag erließ die Klinikleitung verschärfte Hygienemaßnahmen und beruhigte: Man habe die Lage“ derzeit ziemlich gut im Griff“.

Außerhalb der Leipziger Klinik ist man weniger gelassen. Gemäß einer Blitzumfrage des sächsischen Sozialministeriums nehmen KPC-Keime im Freistaat bedrohlich zu. Ob sie von dem Ausbruch in der Uniklinik stammen, muss nun durch genetische Untersuchungen geklärt werden. Aus den USA, Israel und Griechenland ist bekannt, dass sich KPC-Bakterien nach Krankenhausausbrüchen in der Region verbreiten können.

Dabei ist die Tragödie von Leipzig nur die Spitze des Eisbergs: KPC und andere multiresistente Darmbakterien werden unbemerkt eingeschleppt, weil sie sich wie gewöhnliche Darmbewohner verhalten und im Normalfall keine Symptome verursachen. Deshalb ist es auch so schwierig, Klebsiella-Ausbrüche wie an der Uniklinik Leipzig oder auf der Neugeborenenstation des Bremer Klinikums Mitte zu stoppen. In wenigen Jahren werden multiresistente Keime, gegen die kein Antibiotikum wirkt, in ganz Deutschland zum Alltag gehören. Dann helfen nur noch akribische Krankenhaushygiene, Isolierung der Infizierten und aufwendige mikrobiologische Diagnostik. Der Kostendruck im Gesundheitswesen bewirkt jedoch das Gegenteil: Für die Hygiene fehlt das Personal, für die Isolierung fehlen die Räume. Und die mikrobiologischen Institute kämpfen ums Überleben, weil Laborkonzerne Untersuchungen zu Dumpingpreisen anbieten. Wenn nicht umgedacht wird, war der Ausbruch von Leipzig das Vorspiel für eine ganz große Tragödie.

Der Autor ist Mikrobiologe und Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle. Foto: J. Peyer

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