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Was WISSEN schafft: Mit Hightech gegen eine unheimliche Krankheit

Unter Wiederkäuern breitet sich ein neuer Erreger aus. Neben Rindern sind inzwischen auch Schafe und Ziegen befallen. Mit modernen Apparaten setzt sich Europa gegen ein neues Virus zur Wehr.

Anfangs war die neue Seuche schon ein bisschen unheimlich. Im vergangenen August wurden in Nordrhein-Westfalen immer wieder Milchkühe krank, ohne dass eine Ursache erkennbar war. Die Tiere hörten auf zu fressen, bekamen Durchfall und hohes Fieber und gaben nur noch halb so viel Milch wie sonst. Nach ein paar Tagen verschwanden die Symptome wieder, dafür brach die Krankheit irgendwo in der Nähe erneut aus. Wie sich bald herausstellte, gab es auch in den Niederlanden die gleichen mysteriösen Erkrankungen. Ende September waren bereits über hundert Herden betroffen.

Die ratlosen Veterinäre schickten Blutproben an das Friedrich-Loeffler-Institut (FLI) auf der Insel Riems, das als Bundesbehörde für Tierseuchen zuständig ist. Doch alle Untersuchungen auf bekannte Krankheitserreger blieben negativ – offenbar war mitten in Europa eine vollkommen neue, ansteckende Tierkrankheit ausgebrochen.

Doch Europa hatte Glück: Die Wissenschaftler im FLI waren – nach den Erfahrungen mit der Vogelgrippe, der Blauzungenkrankheit und anderen eingeschleppten Tierseuchen – für diesen Fall gut vorbereitet. Ihnen stand ein hochmoderner Laborautomat für eine „Metagenomanalyse“ zur Verfügung. Mit dieser neuen Methode, die sich als Nebenprodukt des humanen Genomprojektes entwickelt hat, kann die gesamte Erbinformation aus einer Blutprobe (oder einer Umweltprobe) auf einmal analysiert werden.

Leistungsfähige Computerprogramme sortieren die riesigen Datenmengen dann säuberlich nach Tieren, Pflanzen, Pilzen, Bakterien und Viren. In den Proben aus Westfalen fanden sich, neben DNA der Kühe und diversen Bakterien, auch winzige RNA-Spuren eines bislang unbekannten Virus. Die Forscher vom FLI nannten ihre Entdeckung „Schmallenberg-Virus“, nach dem Städtchen im Sauerland, aus dessen Umgebung die Blutprobe stammte. Eine Analyse des Virusgenoms ergab, dass das neue Virus zur Simbu-Gruppe aus der Gattung der Bunyaviren gehört.

Die 25 bekannten Mitglieder dieser Gruppe werden durch Insekten übertragen und sind, mit wenigen Ausnahmen, nur für Tiere gefährlich. Für den Menschen ansteckend ist nur das in Lateinamerika verbreitete Oropouche-Virus sowie eine in Peru gefundene Abart davon. Das Oropouche-Fieber verläuft meist harmlos und verschwindet nach einigen Tagen von selbst. In Brasilien kommt es fast jedes Jahr zu OropoucheEpidemien, rund eine halbe Million Menschen haben sich in den letzten 50 Jahren infiziert.

Das jetzt entdeckte Schmallenberg-Virus hat – noch einmal Glück für Europa – keine genetische Ähnlichkeit mit dem Oropouche-Virus. Insbesondere das „M-Segment“ der Virus-RNA, das wahrscheinlich die krank machenden (pathogenen) Eigenschaften beherbergt, ist nicht mit Oropouche verwandt. Deshalb ist das Virus aus dem Sauerland höchstwahrscheinlich nicht für Menschen gefährlich.

Unter Wiederkäuern breitet sich der neue Erreger allerdings weiter aus. Neben Rindern sind inzwischen auch Schafe und Ziegen befallen. Wenn trächtige Tiere infiziert werden, kommt es zu Missbildungen und Totgeburten. In Deutschland wurde die Krankheit mittlerweile in 15 Bundesländern festgestellt, 751 Betriebe sind aktuell betroffen. Auch aus Belgien, Frankreich, Luxemburg, Italien und Großbritannien werden Fälle gemeldet.

Warum das Schmallenberg-Virus plötzlich in Mitteleuropa ausgebrochen ist, bleibt vorerst ein Rätsel. Möglicherweise hat es sich durch eine Mutation aus einem bis dahin unerkannten, einheimischen Virus entwickelt. Vielleicht ist es aber auch nur ein alter Bekannter, der aus dem Osten eingeschleppt wurde.

Ein eng verwandtes Bunyavirus aus der Simbu-Gruppe, das „Akabane-Virus“, tauchte 1959 in Japan auf und entwickelte sich zur Dauerplage der Landwirte in Ostasien, Australien und dem Nahen Osten. Die Symptome sehen exakt genau so aus wie beim Schmallenberg-Virus. Möglicherweise ist das Virus aus dem Sauerland gar keine neue Art, sondern nur eine Variante des Akabane-Virus. Das wäre noch einmal Glück für Europa: Gegen Akabane gibt es einen Impfstoff.

Der Autor ist Mikrobiologe und Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle. Foto: J. Peyer

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