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Meinung: Wechsel auf die Zukunft

Alles auf eine Karte: Hans Eichel legt einen Haushalt vor, der nur mit gelungenen Reformen bestehen kann

Von Antje Sirleschtov

Von Antje Sirleschtov

Altgediente Parlamentarier wissen es noch: Als einige Abgeordnete Mitte der 90er Jahre vom damaligen Finanzminister Theo Waigel Auskunft über das Zustandekommen der Zahlen in dessen Haushaltsentwurf verlangten, erhielten sie nur ein einziges Blatt Papier mit ein paar dürren Zahlen drauf – den so genannten Waigel-Wisch.

So mancher wird sich daran heute erinnern. Denn Hans Eichel legt den Haushaltsentwurf 2004 vor. Und nicht nur den Finanzexperten ist klar: Selten zuvor hat ein Finanzminister das Parlament mit so einem halsbrecherischen Etat konfrontiert: Mit optimistischen Wachstumsannahmen kalkuliert, hart an der Maastricht-Grenze und nur mit einem Kunstgriff überhaupt verfassungskonform. Und vor allem mit vielen offenen Spalten darin. Bei den Einnahmen und Ausgaben genauso wie bei den Positionen, die noch mit einem großen X versehen sind.

Letztere gibt es übrigens im Überfluss. Sie ergeben sich, weil Rot-Grün in diesem Winter zum alles übergreifenden Reformsturm abgehoben hat. Da sollen umfangreiche Gesetze für den Arbeitsmarkt beschlossen werden, will man das Gesundheitswesen umkrempeln, die Beiträge der Rentenversicherungszahler konstant halten und nicht zuletzt auch noch den Kommunen zu sichereren Einnahmequellen verhelfen. Alles Gesetzeswerke, die einen nicht nur von ihrem Umfang her schwindelig machen. Sie sind auch finanziell außerordentlich folgenschwer. Allein das Scheitern der geplanten Rentenreform könnte den Etat des Bundes mit mindestens zwei Milliarden Euro belasten. Ganz zu schweigen von dem Loch, dass eine Weigerung der Bundesländer, sich an der Finanzierung der Hartz-Gesetze zu beteiligen, in den Haushalt reißen würde.

Alles zusammen, sagten die, die dem obersten Kassenwart wohlgesonnen sind, wackeln 10 Milliarden Euro. Und seine Gegner legen beinahe ebenso glaubwürdige Risikoberechnungen für glatt das Doppelte auf den Tisch. Wie, fragt man sich, kann der Mann an der Spitze des Finanzministeriums mit so einem löchrigen Haushalt überhaupt guten Gewissens vor die Öffentlichkeit treten?

Er kann, und zwar nicht, weil mut, wat mut. Sondern weil die erdrückende Enge der Zahlen sein politisches Kalkül für diesen Herbst und Winter ist. Kurz beschrieben könnte man sagen, Eichel setzt nun aufs Ganze, die oder ich. Denn von der Nullrunde für Rentner über die Eigenheimzulage bis hin zu den Kürzungen bei den Beamten-Einkommen ist der Haushalt nur so gespickt mit grausligen Streichpositionen, die in keiner Fraktion ohne Widerstand sind. Und nicht wenige Politiker in allen Lagern gibt es, die eher in Kauf nehmen würden, dass sich Deutschland 2004 wie in diesem Jahr mit 40 Milliarden Euro verschuldet, als dass sie in ihren Wahlkreisen den Frust der Bürger auf sich ziehen. Eichels einzige Chance, nicht erneut in Brüssel deutsche Schuldenpolitik erläutern zu müssen, ist also, den Zauderern und Zögerern bei jeder einzelnen Entscheidung apokalyptische Alternativszenarien aufzuzeigen. Nach dem Motto: Der Abhang ist nah, entweder wir springen oder wir rutschen völlig ab – in die Überschuldung und auch in ein Strafverfahren aus Brüssel. Eine Taktik, die man getrost als den letzten Versuch des Spar-Hans Eichel bezeichnen kann, seinem Ziel von der Haushaltskonsolidierung und sich selbst wenigstens nicht völlig untreu zu werden. Und eine Strategie, die vielleicht auch im Bundesrat in ähnlicher Form Eindruck machen kann. Denn wer will sich in der Union schon vorwerfen lassen, aus politischem Kalkül die eigenen Leitsätze vom Rückzug des Staates und der Sparsamkeit über Bord geworfen zu haben.

So richtig gefährlich wird es aber vor allem für die Steuerzahler. Und zwar dann, wenn der Mut zum Reformieren und Sparen zum Jahresende beide Seiten – Regierung und Opposition – verlässt. Denn dann braucht Hans Eichel frisches Geld.

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