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Meinung: Wenn es ernst wird für unsere Truppe

Afghanistan könnte zu einem zweiten Irak werden – und dann? Von Ulrich Speck

Es steht nicht gut um Afghanistan. Der Wiederaufbau kommt ins Stocken. Die Bevölkerung verliert das Vertrauen in die Fähigkeit der internationalen Gemeinschaft, das Land zu befrieden. In den Provinzen herrschen weiterhin Warlords, im Süden und Osten intensivieren sich die Kämpfe. Anschläge wurden am Wochenende auch auf Bundeswehrsoldaten im Norden verübt. Finanziell hängt die Zentralgewalt am Tropf internationaler Geber. Weite Teile des Landes leben von der Opiumproduktion, die auch die Kriegskassen der Taliban füllt.

Schlimmer noch: Wie die Zunahme von Selbstmordattentaten zeigt, wächst die Gefahr, dass Afghanistan zu einem zweiten Irak wird – zu einer Front des radikalen Islam im Kampf gegen den Westen. Und Deutschland ist, anders als im Irak, mittendrin. Das Kämpfen in Helmand und Kandahar überlässt man allerdings anderen: Amerikanern, Briten, Kanadiern, Niederländern und Dänen. Die Bundeswehr hat sich den Norden als vermeintlich sicheren Hafen ausbedungen. Zu kämpfen ist nicht nur gefährlich für die Soldaten; Kampfeinsätze würden auch die Unterstützung an der Heimatfront gefährden. Allein der Gedanke daran lässt die Verantwortlichen die Hände über dem Kopf zusammenschlagen.

Die paradoxe Lage, dass die Bundeswehr einerseits in alle Welt ausgesandt wird und andererseits peinlichst vermeidet, in militärische Auseinandersetzungen hineingezogen zu werden, hängt mit dem paradoxen politischen Willen zusammen, dass man einerseits mitmachen und sich andererseits heraushalten will. Die vielen Einsätze haben ihren Grund nicht in der selbstbewussten Wahrnehmung deutscher Interessen, sondern in den Anforderungen von außen: von den USA, den UN, der Nato, der EU. Man kann nicht nein sagen, weil man nach internationalem Gewicht schielt. Man kann aber auch nicht wirklich ja sagen, weil Deutschland sich nicht als Militär-, sondern als Friedensmacht begreift. Die innenpolitische Bedingung dafür, Truppen zu stellen, ist die Deklarierung der Einsätze als sozusagen nichtmilitärisch – als Friedensmissionen und Entwicklungshilfe mit anderen Mitteln. Nur so lange, wie diese Deckung hält, kann sich die Politik sicher sein, dass man sie gewähren lässt.

Auf Dauer aber wird man nicht beides haben können – dabei sein und sich raushalten. Das provoziert nicht allein wachsende Verärgerung bei den Verbündeten, die nicht einsehen, weshalb nur sie den Kopf hinhalten sollen. Damit kann man noch umgehen. Sondern das Doppelspiel wird dann ein Ende finden, wenn der Ernstfall eintritt – wenn deutsche Soldaten massiv attackiert werden, sich verteidigen müssen und möglicherweise sogar zum Gegenangriff übergehen. Vielleicht wird es in Afghanistan zur Stunde der Wahrheit kommen. Vielleicht auch im Kongo; wobei man sich ja bemüht, aus dem subsaharischen Schlamassel schnell wieder herauszukommen, möglichst noch vor Weihnachten.

Wenn der Ernstfall eintritt, reichen die schönen Worte nicht mehr aus. Was benötigt wird, wenn Zinksärge nach Hause kommen, sind sehr gute Gründe. Dann wird jeder Einsatz mit Argusaugen überprüft werden: Was wollen wir im Kongo? Welche Ziele verfolgen wir in Afghanistan? Wie lange müssen deutsche Soldaten auf dem Balkan stationiert bleiben? Das Doppelspiel, den Verbündeten Soldaten zu versprechen, die man dem heimischen Publikum als Aufbauhelfer schmackhaft macht, wird sich als unhaltbar erweisen.

Je besser und realitätstauglicher die Missionen begründet sind, desto solider wird der Rückhalt im Ernstfall sein. Und wenn es keine guten Gründe gibt, dann darf man sich auch nicht zum Einsatz drängen lassen. Die offene und kontroverse Debatte darüber, welche deutschen Interessen einen Einsatz von deutschen Soldaten im Ausland rechtfertigen, ist überfällig.

Der Autor arbeitet als außenpolitischer Analyst und Publizist in Frankfurt am Main.

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