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Meinung: Wenn Grenzen fallen Von Hans Monath

Man muss Joschka Fischer kein Jota weit aus seiner Verantwortung entlassen und darf doch nach den Dimensionen der VisaAffäre in einem größeren Zusammenhang fragen. Vor wenigen Wochen waren die Ukrainer wegen ihrer orangenen Revolution für uns noch Freiheitshelden.

Man muss Joschka Fischer kein Jota weit aus seiner Verantwortung entlassen und darf doch nach den Dimensionen der VisaAffäre in einem größeren Zusammenhang fragen. Vor wenigen Wochen waren die Ukrainer wegen ihrer orangenen Revolution für uns noch Freiheitshelden. Wenn seit Tagen jede zweite Meldung mit der Wendung „ukrainische Schleuser, Kriminelle und Menschenhändler“ anfängt, setzt sich in den Köpfen der Menschen allmählich ein gefährliches Bild fest. Darauf hat der ukrainische Botschafter mit diplomatischer Zurückhaltung hingewiesen. Wo ist also das Verantwortungsgefühl derer, die den Deutschen Angst vor Hunderttausenden von Kriminellen einjagen wollen? Manchem Angreifer scheint das Gespür verloren gegangen zu sein, auf welch heiklem Terrain der Streit um die Zukunft des bislang beliebtesten deutschen Politikers ausgetragen wird. Wer nicht aufpasst, nimmt 48 Millionen Ukrainer in einem Machtkampf in Geiselhaft, der eigentlich nur die Deutschen angeht. Und fördert nebenbei kräftig die Fremdenfeindlichkeit.

Ist womöglich der Schaden, den ein teils hysterischer Umgang mit dem Thema angerichtet hat, größer als der Schaden durch Kriminelle und Fehler des Auswärtigen Amtes? Es lohnt sich, mit Menschen aus dem Ausland über die Visa-Affäre zu sprechen, sie sind verwundert über die Debatte. Und jene, die mit den Zuständen in der zerfallenen Sowjetunion in den 90er Jahren vertraut sind, erinnern sich, dass der Druck der Freiheitsbewegung damals enorm war. Kaum eine Botschaft eines westlichen Landes war dem Ansturm gewachsen.

Das alles bedeutet freilich keine Entlastung für Joschka Fischer. Es oblag seiner Verantwortung als Minister, die geltenden rechtlichen Regeln durchzusetzen und ihren Missbrauch abzustellen. Mit seiner Attacke auf die Vorgängerregierung – ihre Entscheidungen zum Reiseschutz- und Reisebüroverfahren seien angeblich der Ausgangspunkt des Missbrauchs – räumt er seine eigenen Fehler nicht aus der Welt. Über die hat er noch nicht gesprochen. Fast will man hoffen, dass die schrillen Töne in der Visa-Affäre nach der Wahl in Schleswig-Holstein abklingen. Aber dann folgt ja bald die in Nordrhein-Westfalen. Und dann ist es auch nicht mehr lang bis zur Bundestagswahl 2006. Muss man sich damit abfinden, dass der parteipolitische Vorteil schwerer wiegt als jede außenpolitische Rücksichtnahme?

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