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Meinung: Wenn Kreuzberg in Liebe zu Deutschland erglüht

Von Pascale Hugues, Le Point

Mein Radio krächzt in einer Fremdsprache, die ich nie zuvor gehört habe. Endlos rollende R, in sich zusammengekauerte E … Ist Ötzi aufgetaut und hat zu riechen begonnen? Ist ein vorzeitlicher Stamm entdeckt worden, der bislang autark in einem abgeschiedenen Alpental gelebt hat? Nur ab und zu dringen aus dem Gepolter dieser unzusammenhängenden Satzlawine einzelne vertraute Wortfetzen an mein Ohr: „Patriotismus“, „gemeinsame Werte“, „Liebe zu Deutschland“. Aber wer ist das, der an diesem schönen Morgen die ehrwürdige Sprache Goethes verstümmelt? Es ist ein Bayer. Es ist Edmund Stoiber auf dem Düsseldorfer CDUParteitag. Und als danach auch noch der Schwabe Günther Oettinger zu reden beginnt, bin ich endgültig aufgeschmissen.

Ich gestehe freimütig, dass mein antiquiertes Kurzwellenradio nicht ganz unschuldig an der Verstümmelung ist. Mein Sony ICF- 7600DS, das als Fenster zur großen Welt sein Dasein auf meinem Küchenregal fristet, ist ein Museumsstück. Ich habe es 1986 im Duty-Free-Laden des Flughafens von Ouagadougou gekauft, und es mag durchaus sein, verehrte Herren Stoiber und Oettinger, dass diese Antiquität, derer ich mich längst auf dem Flohmarkt an der Straße des 17. Juni hätte entledigen sollen, Ihre ansonsten tadellose Aussprache grotesk verzerrt.

Muss man Deutsch lernen, um sich in diesem Land zu integrieren? Die Antwort scheint auf der Hand zu liegen. Aber einfach ist es nicht: Wie soll sich ein 60-jähriger Armenier in wenigen Monaten die Feinheiten von vier Fällen aneignen? Man stelle sich nur mal vor, Stoiber und Oettinger wären gezwungen, in einer überfüllten Volkshochschule Türkisch zu lernen, ohne Freunde, mit denen man sich zu Hause in der Fremdsprache unterhalten könnte. Es ist ohnehin ein bisschen skandalös, dass Stoiber dieses ultradelikate Thema ausgerechnet jetzt aus dem Hut zaubert, wo die CDU/CSU in den Meinungsumfragen abschmiert und ein strahlender Gerhard Schröder rasante Fortschritte in Wirtschaftschinesich macht. Ausländer, die kein Deutsch sprechen, sind willkommene Joker, die immer dann ins Spiel gebracht werden, wenn Parteien ansonsten schlechte Karten haben. Als ob ein in Liebe zu Deutschland erglühtes und Schiller deklamierendes Kreuzberg das Wachstum retten und das Haushaltsloch stopfen könnte!

Verärgert stapfe ich die Treppe hinunter, um die Post zu holen. Darunter ein Brief aus Dijon. Der Leiter des Deutschen Kulturzentrums dort lädt mich ein, an einer wahren Herkulesmission mitzuarbeiten: Ich soll 120 französischen Deutschlehrern Ideen vermitteln, wie man ihre Schüler dazu animieren könnte, Deutsch zu lernen. „Liebe Madame Hugues“, heisst es in dem Brief, „wir möchten uns der Frage widmen, was denn ein emotional attraktives Deutschlandbild sein könnte, das vor allem junge Franzosen einnimmt.“ Da bin ich also mitten in jener Schlacht gelandet, die an Frankreichs Schulen für das Überleben der deutschen Sprache geschlagen wird. Denn junge Franzosen wählen immer seltener Deutsch als erste Fremdsprache: In diesem Jahr waren es nur 17 Prozent, während der Rest sich für Englisch entschied. Als zweite Fremdsprache bevorzugen die Franzosen Spanisch, was wenig erstaunlich ist: Um akzeptabel deutschzusprechen, muss man vier mal soviel Arbeit investieren wie für Spanisch. Außerdem kenne ich wenige Schüler, die lange zögern würden, wenn man sie zwischen einem Monat Sprachstudium in Stuttgart und einem Monat in Barcelona wählen lässt. Deshalb denkt die französische Regierung jetzt sogar darüber nach, zum Ausgleich Extrapunkte an jene heldenhaften Abiturienten zu vergeben, die Deutsch als erste Fremdsprache gewählt haben. „Sie, Frau Hugues, sind geeignet“, schreibt der Schmeichler aus Dijon spöttisch, „den Franzosen zu zeigen, dass es sich trotz Kälte, miserablem Essen, der Geschichte und dem nicht vorhandenem Humor durchaus lohnt, mal nach Deutschland zu fahren. Nicht zuletzt deswegen, weil sich das Land auf der anderen Rheinseite entwickelt hat und inzwischen Aspekte aufweist, die für Franzosen anziehend sein könnten.“ Nein, nein, ich fühle mich der Aufgabe nicht gewachsen, ich lehne die Einladung ab. Stattdessen schlage ich Herrn Meyer vor, Edmund Stoiber anzurufen. Ich bin sicher, dass ein Bayer es besser versteht, kleinen widerspenstigen Franzosen Liebe zu Deutschland einzuflößen.

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