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Meinung: Wenn zwei sich trennen

Wie aus Sorgerechtsregelungen viel Unheil entstehen kann

Von Gerhard Mauz

RECHTSWEGE

Früher sprach man von der „elterlichen Gewalt“ über die Kinder. Der Begriff wurde durch die „elterliche Sorge“ ersetzt, um die Wechselwirkung zwischen Rechten und Pflichten der Eltern und der Kinder deutlich zu machen – beide schulden einander Beistand und Rücksicht. Die Eltern sollten dazu angehalten werden, die wachsende Fähigkeit des Kindes und das wachsende Bedürfnis des Kindes nach selbstständigem, verantwortungsbewusstem Handeln zu berücksichtigen. Es sollten die Eltern dazu angehalten werden, je nach dem Entwicklungsstand des Kindes Fragen der elterlichen Sorge mit ihm zu besprechen und zu versuchen, eine einvernehmliche Lösung herbeizuführen.

Die 21 Jahre alte Mutter fürchtete, ihr vor einem Jahr von ihr geschiedener Ehemann könne versuchen, das Kind zu entführen. Doch das Amtsgericht, bei dem er klagte, erlaubte ihm, die Zweijährige an zunächst drei Sonnabenden zu sehen. Schon nach dem ersten Termin brachte der 24 Jahre alte Vater das Kind nicht zurück. Die Mutter alarmierte die Polizei, doch der waren die Hände gebunden. Die Mutter besaß nicht das alleinige Sorgerecht. Die Fahndung durfte daher erst nach 48 Stunden einsetzen. Dann erst konnte begonnen werden, wegen des Verdachts der Kindesentziehung zu ermitteln.

Die verzweifelte Mutter vermutet den Mann mit dem Kind in Jugoslawien oder Ungarn, weil seine Eltern von dort kommen. Der Verdächtige sei mit einer solchen Tat bislang nicht in Erscheinung getreten, wird abgewiegelt. Doch wie denn auch?

Man kann nur darum bitten und dafür beten, dass es sich tatsächlich um eine Entführung handelt. Noch zu frisch ist die Erinnerung an die Tragödie, über die hier berichtet wurde – den Fall, in dem ein kleines Mädchen, in die Verhandlung hereingerufen, sich in die ausgebreiteten Arme des Vaters stürzte: eine bewegende Szene, die das Gericht veranlasste, Vater und Tochter ein Zusammensein zu gewähren. Am Abend, nachdem der Vater das Kind nicht zurückbrachte, alarmierte die Mutter die Polizei. Das Kind wurde tot gefunden. Dass der Mensch im Guten wie im Bösen zu allem fähig ist, wissen wir. Doch zumindest unbewusst vertrauen wir darauf, dass es hinsichtlich des Bösen eine Grenze gibt, die keiner überschreiten wird. Aber gerade dieser Tage hat uns der Mord an dem Kind Jakob von Metzler aus nichts als banaler, nackter Geldgier wieder vor Augen geführt, dass es eine solche Grenze nicht gibt.

Von einer bestialischen Tat wird nun gesprochen, von dem Täter als einer Bestie. Unsere Fähigkeit, wenn es uns passt, Unmenschliches so zu erklären, dass es den Unmenschen nicht gibt, dass dieser nur eine Erfindung Wehleidiger ist – unerschöpflich ist sie.

Es ist gut, dass wir ein Sorgerecht haben. Aber vergessen wir nicht, dass es auch die Redewendung „dem habe ich es aber besorgt“ gibt. Und übersehen wir auch nicht die unsägliche, unerträgliche Verantwortung, die auf den Gerichten in derartigen Fällen lastet. Es möge um des Himmelswillen tatsächlich um eine Kindesentziehung der Zweijährigen gehen. Und die wäre schon schlimm genug. Ein zweijähriges Kind braucht seine Mutter.

Gerhard Mauz ist Autor des „Spiegel“. Foto: Dirk Reinartz

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