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Meinung: Wer hat an der Uhr gedreht?

Die Zeitumstellung ist sinnlos und gesundheitsschädlich

Alexander S. Kekulé Am kommenden Sonntag ist es wieder soweit: Als Gegenleistung für die im März gestohlene, von Frühlingssonne wonnig erhellte Morgenstunde gibt es eine kalte, neblige und dunkle Herbststunde zurück. Da mit der goldlosen Morgenstund ohnehin nichts anzufangen ist, wird so mancher im Bett bleiben und sich fragen, wie es eigentlich zu dem miserablen Deal kommen konnte.

Die Idee, Tageslicht zu sparen wie Trinkwasser, geht auf einen Vorschlag des Erfinders und Staatsmannes Benjamin Franklin aus dem Jahre 1878 zurück. Die „Daylight Saving Time“ wurde dann während der beiden Weltkriege vorübergehend eingeführt, um Ressourcen zu sparen – mangels Akzeptanz bei der Bevölkerung jedoch jeweils wieder abgeschafft. Erst die Ölkrise von 1973 verschaffte der ungeliebten Sommerzeit ein weltweites Comeback, das bis heute anhält.

Das Argument der Energieeinsparung ist jedoch inzwischen widerlegt. Zwar gehen durch die Sommerzeit die Lichter abends später an. Die längeren Freizeitaktivitäten machen jedoch die Stromersparnis zunichte, wie die Vereinigung Deutscher Elektrizitätswerke resigniert feststellte. Obendrein drehen die zum Frühaufstehen Verdammten in den Morgenstunden ihre Heizungen vermehrt auf – möglicherweise kostet die Sommerzeit insgesamt sogar Energie.

Unbestritten ist, dass die Zeitumstellungen Zeit und Nerven kosten. Nachtzüge fahren das ganze Jahr über langsamer, damit sie in der kurzen Nacht, wenn auf Sommerzeit umgestellt wird, ihre Anschlüsse gerade noch erreichen. Bei der Herbstumstellung stehen sie umgekehrt eine Stunde auf Bahnhöfen und an Streckensignalen herum. Am kommenden Sonntag werden Kinder mit Geburtszeiten „2:30A Uhr“ oder „2:30B Uhr“ zur Welt kommen, weil die Stunde zwischen zwei und drei Uhr doppelt durchlaufen wird. Nur Astrologen lässt das Zeitchaos kalt: Sie berechnen den Aszendenten ohnehin immer nur mit der Winterzeit.

Am gravierendsten sind jedoch die medizinischen Auswirkungen. Der Rhythmus der Hormone der inneren Uhr, wie Melatonin und Kortison, wird in erster Linie durch Licht gesteuert. Weil sich aber das Tageslicht bei der gesetzlich verordneten Zeitumstellung nicht ändert, ist die Anpassung trotz der relativ geringen Verschiebung von einer Stunde besonders mühsam – bis zu einer Woche lässt sich der „Mini-Jetlag“ nachweisen. Typische Anzeichen sind Müdigkeit, Konzentrationsschwäche und Schlafstörungen. Besonders betroffen sind ältere Menschen und die zehn Prozent der Bevölkerung, die ohnehin an Schlafstörungen leiden. Die kollektive Müdigkeit bleibt nicht ohne Folgen: Einer kanadischen Studie zufolge gibt es an Montagen nach der Zeitumstellung acht Prozent mehr Verkehrsunfälle. Andere nahe liegende Auswirkungen, wie eine Schwächung der Immunabwehr durch Störung des Kortisonrhythmus, sind schwer nachzuweisen, weil die Kontrollgruppe fehlt. Kühe haben es da besser – weil die Milchproduktion sonst nachlässt, verschieben Bauern das morgendliche Melken nicht auf einmal um eine Stunde, sondern verteilt über mehrere Tage.

Damit es abends länger hell bleibt, könnte die Sommerzeit auch das ganze Jahr beibehalten werden. Dass dann einige Schulen und Betriebe im Winter ihre unchristlichen Anfangszeiten ändern müssten, wäre wohl kein Schaden. Auch Benjamin Franklin hat seinen Vorschlag übrigens als – nicht immer verstandenen – Witz gemeint: Um die partylustigen „Faulpelze“ der Pariser Gesellschaft „effizient zu wecken“, sollten „in jeder Straße Kanonen abgefeuert“ werden. Andere Vorschläge seiner Glossen im „Journal de Paris“ blieben den Menschen erspart: Etwa die Idee, den Adler im Wappen der USA durch einen Truthahn zu ersetzen.

Der Autor ist Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie an der Universität Halle.Foto: J. Peyer

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