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Meinung: Wie ich lernte, das Gesetz zu lieben Deutschland ist nicht Singapur – aber das Rauchverbot in Kneipen kommt

Jetzt soll es also den Gastwirten an den Kragen oder besser: an die Kehle gehen. Den Gastwirten und ihren Gästen, den rauchenden wie den nicht rauchenden.

Jetzt soll es also den Gastwirten an den Kragen oder besser: an die Kehle gehen. Den Gastwirten und ihren Gästen, den rauchenden wie den nicht rauchenden. Und zwar zu ihrem eigenen Nutzen. Für ihre Gesundheit. Denn die Bundesregierung erwägt, für Gaststätten ein generelles Rauchverbot zu erlassen.

Riesenprotest der Gastwirte und der rauchenden Gäste. Ausgerechnet in Kneipen soll das Qualmen verboten werden, wo es doch zur Geselligkeit gehört wie das Bier und der Korn, wie die Bockwurst, der Döner und das Stammtisch-Gequatsche. Jeder Vierte raucht in der Schenke. Manche wie ich, unglücklicher Zigarren-Raucher, der ich bin, müssen sogar zum Rauchen ins Wirtshaus oder Café gehen, weil man zu Hause, wegen der Gardinen, dem Hund, den Kindern und der Frau, als (Zigarren)Raucher unerwünscht ist. Jedenfalls im Winter. Im Sommer darf ich auf die Terrasse. Im Winter auch. Aber wer raucht schon in Handschuhen? Doch zurück zur Sache!

Die Gastwirte fürchten um ihr wichtigstes Gut, die Geselligkeit. Sie haben sicher Recht. Doch auch der stärkste Raucher muss zugeben, dass sein Mantel (im Winter) und sein Anzug (im Herbst) penetrant Rauch- und Nikotingestank ausdünsten, wenn er von der Kneipe heimkommt. Selbst, wenn er nicht mitgeraucht hat, stinkt er. Sozusagen passiv. Also gesund ist das sicher nicht!

In New York darf man in geschlossenen öffentlichen Räumen nicht rauchen. Es herrscht ein drakonisches Rauchverbot – auch in Bars und Hotelhallen und Nachtlokalen. Die Raucher müssen raus ins Freie, wie früher Schüler auf den Hof oder die Schultoilette; Halbgeächtete, die es bestenfalls genießen können, etwas Verbotenes, noch dazu Gesundheitsschädliches zu tun. Und was einem in New York heutzutage auffällt: Die Stadt ist völlig anders als früher. Früher, da war sie das Sündenbabel, Rauch quoll aus jeder Spelunke (und nicht nur aus den Straßenschächten), Müll quoll über die Straße, und die Penner schliefen im wärmenden Dampf der Metro-Belüftungen. Graffiti gab’s: auf jeder U-Bahn, an jeder Brücke, an jeder Mauer.

Heute kommen einem Städte wie Berlin oder Hamburg vor wie früher New York. Alles vollgesprayt, alles voller Penner („Haste mal ’ne Mark?“ In Eurozeiten!), Zigarettenqualm aus jedem Gaststättenventilator bis zum Erbrechen, Hundekot zuhauf.

Was New York verändert hat, ist die drakonische Bestrafung der Sünder. Es gibt nirgends mehr Graffiti, nirgends. Niemand lungert herum, niemand raucht im Innern eines öffentlichen Gebäudes, niemand. Der Wirt zahlt sonst 1000 Dollar, der Gast 500. Keine Kippe, keine leere Bierdose, nirgendwo. Man mag das schrecklich finden, brave New World, adieu anarchischer Individualismus, ade Freiheit.

New York ist wie Hongkong. Fast. Oder wie Singapur. Jene Musterstädte, die uns Zukunftsschauer über den Rücken jagen – wie wir unsere Welt sauber, gesund und sicher machen –, das aber mit einer Polizei und mit Gesetzen, die uns rigoros zu Sauberkeit, Disziplin und Ordnung bringen. So als lebten wir in einem Orwell’schen Zukunftsstaat, nur ohne dessen politische und ideologische Verbiegungen. In Singapur darf man keinen Kaugummi wegwerfen und nicht auf die Straße spucken. Auch kein Papier wegschmeißen. Weil das alles sonst kostet! Und zwar 500 Singapur-Dollar. Softe Drogen kosten sogar Gefängnis.

Passt das zu Deutschland? Passt das zu Europa, zumal zu dem alten Europa? Brauchen wir nicht Vorbildstädte wie Marseille, Neapel, Barcelona, wo eine individualistische Kultur ihre anarchischen Exzesse billigend in Kauf nimmt? Glückliches Mittelmeer!

Blicken wir einen Augenblick zurück, ohne Zorn, ohne falsche Nostalgie. Als uns das Rauchverbot in U-Bahn-Zügen, auf Bahnsteigen, in Flugzeugen erst angedroht, dann angekündigt wurde, dachten wir: bei uns? Niemals! Inzwischen sind unsere Flugzeuge, unsere Bahnsteige, unsere öffentlichen Gebäude rauchfrei, als lebten wir in Asien oder Amerika.

Die Singapurisierung der Welt schreitet fort, unaufhaltsam. Wir leben so dicht aufeinander, wir können uns nicht mehr so viel Lärm, Qualm, Gesundheitsschäden zufügen, so dass wir nach und nach – manchmal ohne es zu merken – auf immer mehr individuelle Randale, laute Selbstverwirklichung, egoistischen Geschwindigkeitsrausch verzichtet haben. Es liegt an der öffentlichen Meinung, die umgeschlagen ist, hin zur gesundheitsbewussten, sauberen, rauchfreien, leisen Correctness des Zusammenlebens. Ich wette darauf, dass das Rauchverbot in Kneipen kommt – eines nicht zu fernen Tages!

Hellmuth Karasek

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