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Noroviren auf Lebensmitteln sind nicht ungewöhnlich.

© dapd

Wie kam es zur Epidemie?: Noroviren sind überall

Der Skandal um eingefrorene Erdbeeren zeigt: Nicht chinesische Exporteure, sondern Großcaterer müssen besser überwacht werden. Warum? Die Einzelheiten sind unappetitlich.

Seit gestern ist es amtlich: Die Brechdurchfall-Epidemie wurde durch Erdbeeren aus China verursacht, die mit Noroviren verseucht waren. Betroffen waren nicht weniger als 506 Schulen und Kindertagesstätten in Ostdeutschland, die von dem Catering-Unternehmen Sodexo aus dem hessischen Rüsselsheim beliefert worden waren. Mit über 11 200 Erkrankten ist es der mit Abstand größte lebensmittelbedingte Krankheitsausbruch der deutschen Geschichte.

Jetzt fragen entsetzte Eltern, warum ihre Kinder Tiefkühlware aus einem fernen Land mit fragwürdigen Hygienestandards essen müssen, während bei uns die Bäume mit reifen Äpfeln und Pflaumen vollhängen. Kita-Betreiber beteuern, für zwei Euro fünfzig sei nichts Besseres zu bekommen. Sodexo will alle Vorschriften beachtet haben und verweist darauf, dass auch andere Caterer Billigware aus China beziehen. Die chinesischen Behörden bestreiten jeden Zusammenhang zwischen den exportierten Erdbeeren und dem Krankheitsausbruch.

Bislang wurde das Norovirus, gemäß Information des Robert-Koch-Instituts (RKI), in einer Charge tiefgekühlter Erdbeeren aus den Sodexo-Beständen nachgewiesen. Epidemiologische Untersuchungen hätten ergeben, dass alle betroffenen Einrichtungen mit dieser Charge beliefert worden sind. Sofern Sodexo die importierten Erdbeeren nicht zwischendurch aufgetaut hat (was gegen die Vorschriften wäre), dürfte die Quelle der Verunreinigung also in China liegen.

Die Einzelheiten sind unappetitlich: Da Noroviren nur den Menschen befallen und mit dem Stuhl ausgeschieden werden, müssen menschliche Fäkalien in die Erdbeeren gelangt sein. Wenn tatsächlich nur eine Charge verunreinigt war, ist dies wahrscheinlich nicht auf dem Feld, sondern im Verarbeitungsprozess passiert.

Der Norovirus kommt in der besten Küche vor.

Trotzdem ist der Schluss, die billige Importware sei an dem Ausbruch schuld, zu kurz gegriffen. Norovirus-Ausbrüche kommen in den besten Küchen vor, auf Kreuzfahrtschiffen der Luxusklasse und in Feinschmeckerlokalen der Starköche. Weil sich die Erreger auf Lebensmitteln lange halten und bereits in winziger Menge Infektionen auslösen, ist garantiert Norovirus-freie Frischware nicht zu bekommen – auch eine Ladung polnischer oder deutscher Erdbeeren hätte verunreinigt sein können.

Alle landwirtschaftlichen Produkte mikrobiologisch zu überwachen, ist technisch (bislang) unmöglich. Die Zahl der infrage kommenden Erreger ist für eine prophylaktische Untersuchung zu groß und selbst für die üblichen Verdächtigen, wie Noroviren, Salmonellen und Ehec, gibt es keine zuverlässigen Schnelltests. Deshalb muss die Lebensmittelsicherheit hierzulande bei der Überwachung der industriellen Caterer und der Bekämpfung von Ausbrüchen ansetzen – und hier gibt es noch viel zu tun, wie das Norovirus gerade vorführte.

Am 20. September brach das Virus in vier sächsischen Einrichtungen aus. Als das RKI, eine ganze Woche später, endlich von dem Ausbruch erfuhr, waren bereits über 75 Schulen und Kitas betroffen – trotz der nach der Ehec-Epidemie versprochenen Beschleunigung der Meldungen. Am 3. Oktober verkündete das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, alle Lebensmittel, die vor und während des Ausbruchs von der Catering-Firma verwendet wurden, seien „gesperrt und werden nicht mehr ausgeliefert“. Sodexo hatte also weitergeliefert – und prompt kam es von 3. bis 6. Oktober zu weiteren Ausbrüchen in elf Einrichtungen.

Dass der Erreger diesmal, im Gegensatz zur Ehec-Epidemie im vergangenen Jahr, in dem verunreinigten Lebensmittel überhaupt direkt nachgewiesen werden konnte, ist ein Glücksfall: Der Kita-Speiseplan ist übersichtlich und Kinder erinnern sich an Süßes und Rotes besonders gut. Glück war auch, dass von der Charge chinesischer Erdbeeren überhaupt noch etwas übrig war, denn Großküchen müssen eigentlich nur von Speisen aus rohen Eiern Rückstellproben aufbewahren, und auch die nur für sieben Tage.

Wie es mit weniger Glück ausgehen könnte, werden Bund und Länder demnächst in der Katastrophenschutzübung „Lükex 2013“ durchspielen: Simuliert wird ein biologischer Anschlag auf die Lebensmittelversorgung.

Der Autor ist Mikrobiologe und Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle.

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