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Meinung: Wir sind ein Volk

Die Türkischzyprer verbünden sich mit den Inselgriechen gegen das Mutterland

Die Eingeborenen schlagen zurück. Jahrelang haben sich die alteingesessenen türkischen Zyprer dem Druck der Türkei gebeugt, haben die Ansiedlung von mehr als 100 000 Festlandtürken und die geballte Militärpräsenz von 40 000 Soldaten ertragen, was die heute noch 90 000 zu einer Minderheit im eigenen Land gemacht hat. Aber jetzt sollen die gezielt geschürten Spannungen mit der griechischen Mehrheit der seit 28 Jahren geteilten Insel ein Ende haben. Ihre Chance auf EU-Beitritt möchten die türkischen Zyprer nicht länger der nationalen Sache opfern. Sie wollen zehntausende Plastikflaschen mit Friedensappellen vor der Residenz des türkisch-zyprischen Volksgruppenführers Rauf Denktasch auftürmen.

Seit einem Jahr verhandeln Denktasch und der griechisch-zyprische Präsident Glafkos Klerides über eine Lösung des Zypernproblems, bisher ohne greifbares Ergebnis. Im November legte UN-Generalsekretär Kofi Annan einen Einigungsplan vor. Die griechisch-zyprische Regierung akzeptiert den Vorschlag als Grundlage einer Wiedervereinigung, dagegen äußert sich Denktasch mal ablehnend, mal hinhaltend. Das Papier sieht zwei Teilstaaten mit weitgehender Autonomie für die beiden Volksgruppen und eine gemeinsame Zentralregierung vor.

Zypern ist geteilt, seit die Türkei 1974 den Nordteil besetzte, um die drohende Annexion der zu 80 Prozent von ethnischen Griechen bewohnten Insel durch die damalige Athener Obristenjunta und die Vertreibung der türkischen Volksgruppe zu verhindern.

Die neue türkische Regierung hat eine neue Zypernpolitik angekündigt, deren Grundlinien der islamisch-konservative Ministerpräsident Abdullah Gül in dieser Woche erläutern wird. Er weiß, dass er die Zypernfrage lösen muss, wenn er die Türkei näher an die EU heranführen will. Er geht auf Konfrontationskurs zu Denktasch, der sagt, der UN-Vorschlag sei „voller Fallen“. Denktasch stützt sich vor allem auf das militärische Establishment in Ankara, das den Verzicht auf die direkte Kontrolle Zyperns für ein Sicherheitsrisiko hält.

Viele türkische Zyprer wollen eine Wiedervereinigung. Meinungsumfragen zufolge stimmen zwei Drittel dem Annan-Plan zu. Sie sehen darin vor allem die Chance, doch noch gemeinsam mit den griechischen Zyprern der EU beizutreten. Bleibt es bei der Teilung, tritt nur der griechische Süden 2004 der EU bei. Im türkisch besetzten Norden der Insel liegt das statistische Pro-Kopf-Einkommen bei weniger als einem Drittel des Niveaus im griechischen Süden. Nahezu jeder zweite türkische Zyprer ist wegen der Wirtschaftsmisere ausgewandert.

Immer mehr Zyperntürken beantragen trotz Strafandrohung Pässe der griechischen Republik Zypern. Zehntausende gingen in den vergangenen Wochen auf die Straße, forderten die Annahme des UN-Plans und den Rücktritt des Volksgruppenführers Denktasch. Die nächste Massendemo ist für Dienstag geplant. Was eine inselweite Einigungsbewegung ausgelöst hat. Auch im griechischen Süden, auf dem Freiheitsplatz in Nikosia, stecken Bürger Friedensbotschaften in Plastikflaschen. Mit Lastwagen sollen sie in den Nordteil gebracht und vor Denktaschs Haus zu einem „Berg des Friedens“ aufgetürmt werden.

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