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Meinung: Wirtschaft auf der Couch

Die EZB senkt endlich die Leitzinsen – jetzt muss die Regierung Vertrauen schaffen, damit die Konjunktur in Fahrt kommt

Die deutschen Regierungspolitiker sind am Donnerstag um eine Ausrede ärmer geworden. Dass die Konjunktur derart schleppend läuft, können sie nun nicht mehr auf die unbarmherzige Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) schieben. Die Währungshüter haben am Donnerstag den wichtigsten Leitzins um einen halben Punkt auf 2,0 Prozent gesenkt. Das ist der tiefste Stand in Europa seit 1950 – und eine unverhohlene Aufforderung der Notenbanker an die Politik, nun endlich ihrerseits dafür zu sorgen, dass die Wirtschaft wachsen und die Massenarbeitslosigkeit zurückgehen kann.

Lange genug haben vor allem deutsche Politiker die EZB dazu gedrängt, mit niedrigeren Zinsen für billigere Kredite zu sorgen. Das, so hofften sie, werde Unternehmer und Verbraucher dazu bringen, sich von ihrer Bank Geld zu leihen und damit neue Maschinen anzuschaffen oder ein Haus zu bauen. Doch die EZB hatte auf stur geschaltet und, anders als die beherzte amerikanische Notenbank, eine Politik des billigen Geldes abgelehnt und immerzu auf Inflationsgefahren verwiesen. Damit hat sie der europäischen Wirtschaft schweren Schaden zugefügt.

Vor allem Deutschland, das für ein Drittel der europäischen Wirtschaftsleistung steht, hätte mehr Unterstützung gebrauchen können. Das Land steckt seit drei Jahren in der tiefsten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg. Das Bruttoinlandsprodukt schrumpft, die Zahl der Firmenpleiten bricht Rekorde und die Arbeitslosigkeit sinkt selbst im warmen Monat Mai nicht unter 4,3 Millionen. Der zuletzt erstarkte Euro hat die Probleme weiter verschärft. Sogar für eine Deflation gibt es Anzeichen – eine Spirale aus sinkenden Preisen und zurückgehender Produktion, die in eine jahrelange Stagnation münden könnte.

Diese Gefahr wird sich trotz der Zinssenkung nicht so rasch verflüchtigen. Meist dauert es im günstigsten Fall sechs Monate, bis das gesunkene Kreditniveau für eine lebhaftere Nachfrage sorgt. Und noch frisch im Gedächtnis ist die Ankündigung von Bankenpräsident Rolf Breuer nach dem vorletzten EZB-Zinsschritt im Dezember 2002, die Geldbranche werde sich erst einmal selbst an den niedrigen Zinsen gesundstoßen, statt sie an ihre Kunden weiterzugeben. Diese Gefahr besteht auch dieses Mal – eine Garantie für mehr Wachstum gibt es also nicht.

Es ist deshalb an der Regierung, die Vorlage der EZB zu nutzen. Sie muss erkennen, dass die Dauerkrise vor allem psychologische Ursachen hat: Unternehmer investieren deshalb nicht, weil sie Angst vor neuen Steuererhöhungen haben, Bürger halten ihr Geld zusammen, weil sie um ihren Arbeitsplatz fürchten. Gegen diesen Dauerverdruss hilft nur eine Politik, die sich nicht damit zufrieden gibt, dass Deutschlands Konjunktur irgendwann im kommenden Jahr vom Aufschwung der Weltwirtschaft profitiert und wieder um 1,8 Prozent wachsen wird, wie es neue Prognosen verheißen.

Das bedeutet vor allem: Schröder muss Reformen auf den Weg bringen, die über die Agenda 2010 hinausgehen und die die Menschen wieder an bessere Zeiten glauben lassen. Reformen also, die steigende Sozialbeiträge um jeden Preis vermeiden, die mehr Dynamik in den Arbeitsmarkt bringen, die Bürger und Unternehmer von ihrer hohen Steuer- und Abgabenlast befreien. Schon lautes Nachdenken über eine höhere Mehrwertsteuer oder über eine Verschiebung der Steuersenkung wäre Gift für das Wachstum. Genauso freilich wie eine Verschärfung des Sparkurses, der die Nachfrage weiter abschnürt.

Der Kanzler muss die wirtschaftliche Misere nutzen, seiner Partei, seiner Koalitionspartnern und den Bürgern die Zustimmung zu den notwendigen Reformen abzuringen. Ausreden gibt es keine mehr. Nach den Geldpolitikern in Frankfurt sind jetzt die Regierungspolitiker in Berlin am Zug.

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