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Meinung: Wo die Schreibtische der Täter standen

Nach dem Befreiungsschlag: Nun kann die Topographie des Terrors gebaut werden

Am Ende ging alles ganz schnell. Eine Krisensitzung vereinte die Beteiligten am Vorhaben der Topographie des Terrors – und mündete in den lange erhofften Befreiungsschlag. Oder doch nicht ganz: Zwar übernimmt der Bund die Aufsicht über das seit 14 Jahren geplante Projekt, doch bleiben Trägerschaft und Finanzierung weiter paritätisch beim Bund und dem Land Berlin.

Damit ist Berlin gerade noch am voll gültigen Eingeständnis vorbeigeschrammt, ein herausragendes Vorhaben nicht bewerkstelligen zu können. Gleichwohl: Die Berliner Bauverwaltung hat sich als unfähig erwiesen, den anspruchsvollen Bau zu leiten. Alle verantwortlichen Senatoren waren stets darauf fixiert, sich – koste es was es wolle – mit dem genialischen Entwurf Peter Zumthors zu schmücken.

So weit ist der ganze Vorgang eine Provinzposse, betrüblich zwar, aber doch eher von lokalem Interesse, was die Beurteilung hiesiger Politik und Verwaltung anbelangt. Doch es geht um mehr – um sehr viel mehr. Denn die Topographie des Terrors ist eben kein lokales Vorhaben. Sie ist eine Angelegenheit von nationaler Bedeutung, und wenn etwas an der Entscheidung, Berlin aus der Bauleitung zu entlassen, zu kritisieren ist, dann die Halbherzigkeit, mit der Kulturstaatsministerin Christina Weiss den Bund nur zum Primus inter Pares, nicht aber zum alleinigen Träger des Vorhabens gemacht hat.

Was sich seit Jahren vordergründig als unendliche Baupleite darbietet und die Öffentlichkeit mit immer neuen Kostensteigerungen verärgert, ist in Wahrheit ein, wenn nicht überhaupt das zentrale Vorhaben in Sachen Aufarbeitung der NS-Zeit. Es gibt auf deutschem Boden weniger Zeugnisse der braunen Diktatur, als man angesichts ihres allumspannenden Charakters erwarten sollte. Vieles ist nach dem Zweiten Weltkrieg beseitigt und eingeebnet worden; teils aus Gleichgültigkeit und schierer Unkenntnis, teils aus mit Wiederaufbauplanungen getarntem schlechten Gewissen. Beides trifft für das Gelände des „Reichssicherheitshauptamtes“ und der „Gestapo“-Zentrale zu, der berüchtigten Adresse Prinz-Albrecht-Straße 8.

Es ist dies ein authentischer Ort: Ein Ort, an dem die Geschichte gemacht wurde, die es zu erinnern und aufzuarbeiten gilt. Und es ist dies einer der wenigen auffindbaren Orte der Täter. Dort, inmitten der Reichshauptstadt befand sich das Verwaltungszentrum der Vernichtungsmaschinerie, mit der die NS-Diktatur ganz Europa überzog. Wenn der Begriff des „Schreibtischtäters“ seine topographische Entsprechung hat, dann hier, wo die Schreibtische von Himmler und Konsorten standen.

Authentischer Ort und zugleich Ort der Täter: Das sind die beiden Elemente, die die Brachfläche gegenüber dem Berliner Abgeordnetenhaus und dem einstigen Reichsluftfahrtministerium auszeichnen. Wenn irgendwo, dann muss hier die Dokumentation der Täter und ihrer Verbrechen erfolgen. Aus diesem Gedanken erwuchs das Konzept der Topographie des Terrors – und der Wunsch nach einem repräsentativen Bauwerk, der das Projekt beinahe unter sich begraben hätte.

Mit dem Abschied von dem zumindest auf dem Papier grandiosen, aber wohl unbaubaren Entwurf Zumthors ist der Politik nicht bloß Gelegenheit, sondern vielmehr die Verpflichtung aufgegeben, über die Rolle der Topographie des Terrors erneut nachzudenken. Dabei geht es insbesondere um das Verhältnis zu den anderen beiden Stätten der Erinnerung, die in Berlin herangewachsen sind oder in Kürze fertig gestellt werden: das Jüdische Museum und das Holocaust-Mahnmal. Beider Aufgaben sind unabdingbar. Und doch ist der Verdacht nicht ganz von der Hand zu weisen, dass beide Einrichtungen im Seelenhaushalt des heutigen Deutschland eine positive, jedenfalls gemeinschaftsstiftende Rolle spielen. Die Geschichte der Juden in Deutschland zu erzählen und der Opfer zu gedenken, erregt heute – zum Glück – keinen ernst zu nehmenden Widerspruch mehr. Die Geschichte der Täter aber und ihrer Verbrechen, zumal die „Gewöhnlichkeit“ des organisierten Mordens zu dokumentieren, das kommt uns immer noch hart an.

Genau darum ist die Topographie des Terrors unabdingbar. Und genau darum war und ist es richtig, sie endlich aus dem Schlamassel eines fehlgehenden Architekturexperiments zu befreien.

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