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Meinung: Zu den Akten

Von Matthias Schlegel

Autos, Maschinen, chemische Erzeugnisse, Nachrichtentechnik – und demnächst Logistik zur Diktaturaufarbeitung auf der Liste der deutschen Exportschlager? Nun, so weit hergeholt ist die Vorstellung nicht. Als die DDR-Bürger vor 17 Jahren die Tore der Berliner Stasi- Zentrale aufdrückten, war nicht zu ahnen, dass der künftige Umgang mit dem 180 Kilometer langen Aktenbestand einmal Beispielwirkung für andere Staaten haben würde, die sich ihrer Diktaturen entledigten. Der Umgang mit diesem Erbe des SED-Staates vollzog sich hierzulande so, wie es die anderen von uns erwarteten: gründlich und geordnet. Das ist gewiss nicht allein deutschen Sekundärtugenden zu verdanken. Man mag die Ursache vielmehr darin sehen, dass sich die Ostdeutschen in rechtsstaatliche Strukturen hineinvereinigten, die das öffentliche Bewusstsein für Notwendigkeiten und Grenzen der Aufarbeitung schärften. Es gab, zumindest auf höherer Verantwortungsebene, generell eine personelle Alternative, es musste nicht auf alte Nomenklatura zurückgegriffen werden, nirgends konnten sich Seilschaften in verantwortlichen Positionen etablieren. Böswillige unterstellten dem wiedervereinigten Land, es wolle mit seiner rigorosen Aufarbeitung der zweiten deutschen Diktatur die Fehler aus dem ersten Versuch wiedergutmachen. Sowohl die Unvergleichlichkeit der Diktaturen als auch die Unvergleichlichkeit der nachfolgenden politischen Bedingungen verbieten solcherlei Gegenüberstellungen.

Gleichwohl: In Deutschland wäre unvorstellbar, dass ein ehemaliger DDR-Geheimdienstoffizier zum ersten Mann im Staate aufsteigt – wie in Russland; und sehr unwahrscheinlich, dass ein hoher geistlicher Würdenträger noch über frühere Kollaboration mit der Stasi stolpert – wie in Polen. In Deutschland ist nicht mehr zu befürchten, dass mit Altkadern durchsetzte Regierungen und Parlamente die Aktenöffnung hintertreiben.

Tatsächlich haben bei der Stasi-Unterlagenbehörde schon etliche Repräsentanten aus anderen osteuropäischen Staaten angeklopft, um mehr über Stasi-Aufarbeitung made in Germany zu erfahren. Es gibt Verträge und Kooperationen. Aber es gibt eben auch die grundsätzlich anderen Ausgangsbedingungen bei den anderen – und die Angst vor der deutschen Gründlichkeit.

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