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Meinung: Zumutung und Befreiung

Stärker als erwartet berührt der Wandel im deutschen Selbstbildnis auch das der Nachbarn

Viele stimmen der Errichtung eines Zentrums gegen Vertreibungen inzwischen zu. Die Frage ist nicht mehr, ob, sondern nur noch wo und wie es entstehen soll. Doch die Debatte droht sich an falschen Frontlinien festzubeißen. Niemals hat das von Erika Steinbach und Peter Glotz initiierte Zentrum ausschließlich die Vertreibung Deutscher darstellen wollen – was es hätte gerechtfertigt erscheinen lassen, der „deutschnationalen“ eine „europäische“ Ausrichtung gegenüber zustellen. Wie im Namen ausgedrückt, hat es von Anfang an alle Vertreibungen im 20. Jahrhundert geächtet, vom Genozid an den Armeniern bis zum Konflikt in Jugoslawien.

Niemals hat das Zentrum die Schuld der Deutschen zu relativieren beabsichtigt oder die geplante Gedenkstätte gar als Konkurrenz zum HolocaustMahnmal intendiert – was es hätte begründet erscheinen lassen, vor einem selektiven Erinnern und einer Rückkehr alter Geister zu warnen. Vielmehr sollen die einseitigen Geschichtsbilder der Nachkriegszeit überwunden und durch eine reifere Wahrnehmung ersetzt werden. In der das Leiden anerkannt werden kann, ohne dass die Schuld geleugnet werden muss.

Schließlich und endlich stimmt es nicht, dass der Bund der Vertriebenen (BdV) mit dem geplanten Zentrum einen geschichtspolitischen Alleingang anstrebt. Erika Steinbach hat ihre Bereitschaft zum Dialog mehrfach unter Beweis gestellt. Wenn einigen Politikern und Historikern dieses Angebot (noch) als Zumutung erscheint, verrät das eher eine Verkennung der Dimension der bevorstehenden Aufgabe als moralische Wachsamkeit. Es mag unerlässlich sein, sich mit der Vergangenheit des BdV auseinander zu setzen, man muss aber auch sehen, wie sehr er sich verändert hat. So wenig, wie das Zentrum eine Zukunft hat als alleinige BdV-Initiative, so wenig hat es eine Zukunft ohne ihn. Umzudenken haben beide: die Vertrieben(verbände), die sich lange hinter Bitterkeit verschanzten, und das linksliberale Lager, das den Verlust des deutschen Ostens verdrängte.

Nun lenkt der Wandel unseren Blick wieder verstärkt auf den Osten: nicht als Ziel der Begierde, sondern als Raum der Erinnerung; nicht als neue, alte Heimat, sondern als Kulisse für deutsche Geschichte. Aus dem Interesse für die Herkunft entsteht die Neugier für die Gegenwart: in Polen, Tschechien, Bessarabien oder Ungarn. Doch was für uns befreiend und heilend wirkt, macht unseren Nachbarn Angst. In polnischen Medien melden sich fast täglich Intellektuelle zu Wort, die den Deutschen unterstellen, sich neben den Juden zu Hauptleidtragenden des Weltkriegs zu stilisieren und das Leiden der Nachbarn zu vergessen. Stärker als vermutet berührt der Wandel im kollektiven Selbstbildnis der Deutschen auch das der Nachbarn. Wenn auch Deutsche Opfer sind, was wird dann aus dem Opferstatus der Polen? Der Historiker Jerzy Holzer empfiehlt, auf jede Gedenkstätte zu verzichten, Ex-Außenminister Wladyslaw Bartoszewski will Vertreibungen „universalisieren“, andere möchten als Alternative ein Museum für alle Opfer von Totalitarismus im 20. Jahrhundert errichten.

Doch weil es derzeit vor allem um einen Dialog von Deutschen mit Deutschen geht, um die öffentliche Anerkennung tabuisierten Leids und um die Integration der Vertreibung ins kollektive Gedächtnis, können derart „universalisierte“ oder „europäisierte“ Zentren unsere Gesellschaft nur enttäuschen. Erinnerung hat, wenn sie heilen soll, den singulären Erfahrungen Rechnung zu tragen.

Andererseits können uns die Bedenken und Vorwürfe der Nachbarn auch nicht gleichgültig lassen. Alte Stereotypen schlummern dicht unter der Oberfläche. Um der erkennbaren Gefahr einer Hierarchisierung der Opfer und Konkurrenz unter ihnen zu entgehen, sollten wir verstärkt nach Wegen der Annäherung durch Begegnungen suchen: uns gegenseitig unsere Geschichten erzählen und für den Schmerz und die Trauer des Anderen Verständnis aufbringen, weil wir sie in uns selbst zugelassen haben. Und ein großes Hearing organisieren, auf dem nach einem Konzept für das Zentrum gegen Vertreibungen gesucht wird, das die Erwartungen der Deutschen befriedigt, ohne dass sich die Nachbarn bedroht fühlen.

Helga Hirsch ist freie Autorin. Sie hat jahrelang aus Polen berichtet und ein Buch über die Lager für Deutsche nach 1945 verfasst.

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