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Zurückgeschrieben: Ist es sinnvoll, dass 16-Jährige wählen dürfen?

Unsere Leser Heide Binner und Jörg Petersen sagen, es reicht aus, wenn man ab 18 wählen kann. Benedikt Lux meint: Es ist heute erforderlich, junge Menschen früher an politische Entscheidungen heranzuführen.

„Was machen wir heute? Die Wahl haben“

von Gerd Nowakowski vom 12. Juni und

„Junge Wähler - die unbekannten Wesen“ von Ulrich Zawatka-Gerlach vom 9. Juni

Warum dürfen nicht schon Schulkinder wählen, etwa nach der dritten Klasse – sobald sie die Parteikürzel lesen können? Ob sechzehn oder acht Jahre alt – wo ist da der Unterschied? Die Unorganisiertheit eines normalen (Acht-)Sechzehnjährigen passt zur heutigen Politik – darum lasst sie ruhig wählen – vielleicht gilt auch in diesem Fall: minus mal minus gleich plus. Wär’ doch was! Zumindest stiege dann die Wahlbeteiligung vielleicht mal wieder über deutliche 50 Prozent, weil die Erstwähler sich ihr Recht nicht nehmen lassen. Wär’ doch auch was! Macht so weiter, liebe Politiker – schmeißt mit der Wurst nach der Speckseite – ihr kriegt unser Land schon klein!

Heide Binner, Berlin-Rudow

Autofahren darf man erst mit 18, Verträge abschließen ebenfalls – aber mit 16 soll man schon reif genug sein, um ein Parlament zu wählen? Tut mir leid, die dahinterstehende Logik erschließt sich mir nicht.

Jörg Petersen, Berlin-Friedrichshain

Sehr geehrte Frau Binner,

sehr geehrter Herr Petersen,

oh je, das mit der Jugend ist so eine Sache. Wer hat jetzt recht? Goethe mit seiner Einschätzung, die Jugend sei Trunkenheit ohne Wein oder doch Sokrates, der schon 500 v. Christus wusste, dass die Jugend den Luxus liebt, schlechte Manieren hat, respektlos ist und die Autorität verachtet? Ich weiß es nicht. Ich bin mir aber sicher, dass Jugendliche heute vor viel komplexeren und komplizierteren Situationen stehen als früher.

Freilich, das Leben heute ist bei weitem nicht so anstrengend und von Entbehrungen geprägt wie das der deutschen Nachkriegsjugend. Aber die Anforderungen an die jungen Leute haben sich auf andere Weise erhöht: Gute und sichere Jobs sind Mangelware, der Konkurrenzdruck steigt massiv. Im Internet muss man vorsichtig sein, sonst werden private und intime Daten mal eben veröffentlicht oder windige Geschäfte abgeschlossen. Jugendliche sind heute viel attraktiver für Marketing, Medien und die Werbung. Und ich finde, es ist ein Erfolg, dass die meisten jungen Leute in dieser viel rasanteren Welt den Überblick behalten und zurechtkommen. Am Beispiel Internet übrigens auch ohne die Hilfe von Erwachsenen, Eltern oder Lehrern.

Es stimmt auch, dass die Volljährigkeit und damit die volle Geschäftsfähigkeit erst mit Achtzehn beginnt - allerdings dürfen Jugendliche bereits mit 14 Jahren ihre Religion selbst bestimmen; eine Frage, die zu beantworten ich mindestens genauso schwierig finde, wie die Entscheidung für eine politische Partei. Jugendliche haben sich mit 14 strafrechtlich zu verantworten. Hier geht das Gesetz komischerweise von einer sehr frühen Einsichtsfähigkeit aus. Altersgrenzen haben immer etwas Willkürliches, ob beim Renteneintritt oder auch beim Wahlalter. Übrigens: Auf Bezirksebene dürfen 16-Jährige in Berlin bereits wählen.

Die Politik ist eigentlich verpflichtet nachhaltig zu handeln, unsere Umwelt zu schützen, gleiche Chancen für Alle und ein gewisses Maß an Sicherheit zu gewährleisten. Wahr ist aber auch, dass fast alle Politiker in erster Linie an den nächsten Wahltag denken. In Zeiten von schweren Krisen, dem Zusammenbrechen von Wirtschafts- und Finanzmärkten, der Zerstörung unserer Lebensgrundlagen erlebt der Grundsatz „Wir haben die Erde nur von unseren Kindern geborgt“ täglich eine neue Katastrophe. Leider.

Jugendliche sind spätestens morgen in voller Härte von politischen Entscheidungen betroffen, die heute gefällt werden. Viele engagieren sich und leisten Wichtiges für unsere Gesellschaft, angefangen im persönlichen oder familiären Umfeld, aber auch politisch und sozial, in Verbänden und Initiativen. Aber eine Stimme für die Wahl des deutschen Parlaments haben sie nicht. „Nicht reif für die Demokratie!“ ist und bleibt ein Argument, das bei heute 16-Jährigen nicht stimmt und das einst auch zum Glück vergeblich gegen das gleiche Wahlrecht von Arbeitern und gegen das Wahlrecht von Frauen vorgebracht wurde.

Wenn man – wie Winston Churchill – der Meinung ist, die Demokratie sei die schlechteste aller Staatsformen, ausgenommen aller anderen, dann ist es gerade heute erforderlich, junge Menschen früher an politische Entscheidungen heranzuführen. Vereinfacht gesagt: Wer gefragt wird, fühlt sich respektiert. Und wer sich respektiert fühlt, ist auch bereit mehr für das Gemeinwohl zu tun.

Die Probleme werden mit Sicherheit nicht gelöst, indem wir das Wahlalter auf 16 senken. Es ist aber ein wichtiger Schritt. Deswegen setze ich mich auch für bundesweite Volksentscheide oder ein Wahlrecht für Migranten ein. Die Antwort auf die heutige Realität der Jugendlichen kann nicht sein, dass wir Erwachsenen sie immer weiter vom Wählen abhalten.

Mit freundlichen Grüßen

— Benedikt Lux, innenpolitischer Sprecher der Grünen im Abgeordnetenhaus von Berlin

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