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Meinung: Zwischen Ramsch und Russenmützen

Berlin muss endlich ein Konzept zum Umgang mit der Mauer vorlegen

Da stehen die Leute, sehen auf dunkle Holzkreuze, angeblich sind es 1065, lesen Namen, sind beeindruckt. Dann machen sie ein Foto vom Besuch am Checkpoint Charlie. Es ist viel los an diesem Ort mitten in Berlin, der wie kaum ein anderer für Teilung, kalten Krieg und für die tödliche Trennlinie durch Deutschland steht. Die improvisierte Mauergedenkstätte an der Friedrichstraße zieht Touristen an und stößt die Berliner Politik vor den Kopf.

Zum zweiten Mal schon in diesem Jahr hat Alexandra Hildebrandt, die Chefin des privaten Checkpoint-Museums, den öffentlichen Raum geordnet, hat Erinnerung und Gedenken inszeniert. Vermutlich ist es ihr recht, dass sie damit auch polarisiert. Im Sommer gab sie sich als Wahrerin der Würde des Ortes, als einige junge Männer in Volkspolizei-Uniformen vor der Checkpoint-Baracke als Fotomotiv posierten und dafür ein paar Euro Trinkgeld nahmen. Hildebrandt sah das Ansehen ihres Mannes beschädigt. Der hatte das Checkpoint-Museum gegründet und so konsequent wie unversöhnlich gegen alles gestritten, was als Verharmlosung der DDR und ihres Grenzregimes erscheinen konnte. Jetzt ist Hildebrandt noch weiter als im Sommer gegangen: Sie hat Zeichen gesetzt, indem sie die Holzkreuze aufstellen ließ und die Mauer wieder hochzog – weit über hundert Meter lang, frisch geweißt und so hoch, dass man von den Häusern jenseits der Grenzlinie nur die obersten Etagen sieht.

Die imitierte Mauer kann einen durchaus erschrecken: Genauso brutal und hässlich wie jetzt stand sie da. Und: braucht man wirklich dieses Monstrum aus Beton, um wegzukommen vom Dauer-Gegreine über dieses Land? Diese Gedenkstätte, die der Senat bis zum Jahresende genehmigt hat, zeigt etwas anderes: Ihre Aussage mag bis hin zur Zahl der Opfer des DDR-Grenzregimes anfechtbar sein – doch Alexandra Hildebrandt hat mehr Gefühl für die historische Schwerkraft dieses Ortes als der komplette Senat. Wer ihr jetzt die Disneyisierung des Checkpoint Charlie vorwirft, der muss sich fragen lassen, wie er denn die touristische Verwertung der Kreuzung Friedrichstraße/Zimmerstraße zuvor genannt hat: Was anderes als eine Billigversion von Gedenken ist der Verkauf von Russenmützen und Handschellen an einem Ort mitten in der Stadt, der von sich aus nur zu denen spricht, die ihn noch aus Teilungszeiten kennen?

Jetzt also sprechen die Holzkreuze und machen beklommen. Sie wirken wie ein Friedhof, auf dem nur die bestattet sind, die an der innerdeutschen Grenze starben – „für die Freiheit“, wie Alexandra Hildebrandt auf einer Informationstafel ergänzt. Ist das schon „Disney“? Im Sommer hat die Politik versucht, den Konflikt zwischen der Museumschefin und den Schaustellern durch das Straßenverkehrsrecht zu lösen. Das funktioniert jetzt nicht mehr. Jetzt soll Kultursenator Thomas Flierl ein Konzept vorlegen, das die unsichtbar gewordene Mauer mit der Notwendigkeit des Erinnerns und des touristischen Interesses zusammenbringt. Kein leichter Job, schon gar nicht für einen der PDS verbundenen Senator. Flierl muss einen Fehler von 1990 korrigieren: die Privatisierung eines Ortes, der im kollektiven Gedächtnis nicht privatisierbar erscheint.

Es hat sich gezeigt, dass sich historisches Interesse nicht zum Mauerpark an der Bernauer Straße lenken und dort befriedigen lässt. Es hat sich auch gezeigt, dass der Checkpoint Charlie ein Ort ist, über den grundverschiedene Leute die Deutungshoheit beanspruchen. Auch wenn die Stadt kein Geld übrig hat und nicht klar ist, ob die Brachen an der Friedrichstraße zum Verkauf stehen – sie sollte versuchen, den Checkpoint Charlie wieder unter Kontrolle zu bekommen. Ein Dauerstreit über die Deutungshoheit – das wäre fast wie auf die Gräber der Mauertoten gespuckt.

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