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Zwischenruf: Wenn ein Traum zum Albtraum wird

"Ohne Wachstum geht es auch." Das ist seit Jahren einer der Lieblingssätze von Umweltschützern und christlich motivierten Denkern. In den kommenden Jahren werden wir Gelegenheit haben nachzuprüfen, ob der Leitsatz funktioniert, erwartet Ursula Weidenfeld.

Die Wachstumsideologie, wie sie Umweltschützer gerne nennen, habe zu verantwortungslosem Umgang mit Ressourcen geführt, sie habe den am wenigsten entwickelten Ländern der Welt ihre Entwicklungschancen genommen, die Reichen immer reicher, die Armen immer ärmer gemacht. Wirtschaftswachstum sei unter dem Strich eher schädlich als gut.

Manches davon ist sicher berechtigt, vieles nicht. In den kommenden zwei Jahren werden wir Gelegenheit haben nachzuprüfen, ob der Umkehrschluss „Kein Wachstum schadet nicht“ funktioniert.

Wahrscheinlich werden wir feststellen, dass Nullwachstum oder Schrumpfung uns stärker belasten als vermutet. Es geht dabei nicht allein um die absehbar wachsende Arbeitslosigkeit. Es geht auch um die Frage, wer in einer schrumpfenden Volkswirtschaft noch die Energie für die nötigen, aber schwierigen Umverteilungsentscheidungen aufbringt: Die Sozialkassen werden schnell an ihre Grenzen kommen, wenn das Wachstum zurückgeht. Auch der Klimawandel nimmt wenig Rücksicht darauf, ob Schutz- und Energiesparmaßnahmen gerade gut finanzierbar sind. Und wenn die sich entwickelnden Länder auch in miserablen Zeiten einigermaßen fair am Welthandel und den weltweiten Chancen beteiligt werden sollen, müssen die Industrieländer zurückstecken.

Die Lösung dieser Konflikte wurde schon in wirtschaftlich guten Zeiten nur schrittweise versucht. Man fürchtete die Binnenkonflikte und nahm nur einen kleinen Teil des wachsenden Wohlstands, um damit die Rechnungen für sozialen Ausgleich und den ordentlichen Umgang mit den Alten und Schwachen zu bezahlen. Wie viel schwerer wird es jetzt fallen, wenn nicht vom Zuwachs verteilt wird, sondern von der Substanz.

Man könnte argumentieren, dass man auch diese Probleme mit dem neuen Zauberinstrument, einfach mehr Schulden zu machen, lösen könnte. Damit aber verschiebt man bloß den Tag der Rechnungstellung. Für Schulden, die man jetzt macht, braucht man mehr Wachstumspotenzial in den kommenden Jahren. Wachstum, das wird diese Krise zeigen, ist nach wie vor das Schmiermittel, mit dem sich Verteilungskonflikte am elegantesten lösen lassen.

Die Autorin ist Chefredakteurin von „Impulse“.

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