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Zwischenruf zur Identität: Kulturelle Prägung ist nichts Unveränderliches

Wären wir kulturfixiert, dann wäre längst der Vierte Weltkrieg als Krieg der Kulturen im Gange. Barbara John darüber, was kulturelle Prägung für die Integration bedeutet.

Kürzlich war ich eingeladen zu einer Tagung zum Thema „Integration und Identität in der globalen Gesellschaft“. Veranstalter waren das „Deutsch-Russische Forum“ und der „Petersburger Dialog“. Zum Widerspruch reizte mich gleich die Eingangsthese meiner Diskussionsrunde „Identität bewahren, Integration fördern“. Da war sie ja wieder, die so rücksichtsvoll klingende, aber gedankenlose Phrase aus den vergangenen Jahrzehnten in Deutschland, mit der viele Politiker Einwanderern die Eingliederung schmackhaft machen wollten. Integrieren: Ja; Aufgabe der kulturellen Identität: Nein. Populär wurde sie durch Heiner Geißlers Befürwortung. Falsch war sie immer, weil unser Selbstbild (Identität) nicht unverrückbar festgefügt ist, sondern sich laufend verändert. Wir sind also nicht kulturfixiert, wie es uns der Bewahrensslogan glauben machen will, wir sind kulturfähig, wo immer wir auch leben. Wären wir kulturfixiert, dann wäre längst der Vierte Weltkrieg als Krieg der Kulturen im Gange.

Kulturelle Prägung ist keineswegs etwas Unantastbares, Unveränderliches wie es körperliche Merkmale sind, Größe oder Augenfarbe. Eigentlich ist diese Vorstellung ein Witz, der leider Menschen nicht zum Lachen, sondern oft zur Verzweiflung bringt. Denn es gibt immer wieder Zeitgenossen, die sich voll auf die Bewahrungsdeutung einlassen. Für sie kann es dann in der Begegnung mit neuen Kulturen ums Ganze gehen, nämlich um die Verteidigung ihres innersten Kerns: Kultur und Identität. Die Folgen sind beispielsweise zu besichtigen auf dem Balkan, auch in Afghanistan.

Höchste Zeit also das starre Identitätsverständnis auf die Abfallhalden für enttarnte Mythen zu befördern. Als nützliches, unverzichtbares Konzept für funktionierende kulturelle Vielfalt und Integration ist es jedenfalls nicht zu gebrauchen. Die werden nicht durch stures Festhalten am Vorhandenen erzeugt, sondern durch Auseinandersetzen mit neuen Möglichkeiten, wie es die Töchter türkischer Einwanderer praktizierten gegen Ende der 90er Jahre in Berlin, als sie einen der ersten Fußballerinnenvereine Europas gründeten. Daraufhin erschien in einem bedeutenden Wochenmagazin ein Artikel mit der Überschrift: „Sie (die Fußballerinnen) kicken gegen die Eltern und den Koran.“ Unsinn: Es ging ihnen nicht ums Bewahren und auch nicht ums Rebellieren. Sie spielten einfach Fußball, weil es hier möglich war und dabei änderte sich auch ihr Selbstbild.

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