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Politik: ...in Saarbrücken der Reißwolf wartet

Ein Parteibuch ist natürlich nicht viel wert. Es wird demnächst aussterben, wie schon das gedruckte Flugticket ausstirbt, es ist viel zu klein, um es in der Streikfront den Knechten des Monopolkapitals telegen entgegenzurecken, und die Stempel der Kassierer in den Ortsvereinen („Beitrag bezahlt“) sind sowieso längst durch Einzugsermächtigungen ersetzt.

Ein Parteibuch ist natürlich nicht viel wert. Es wird demnächst aussterben, wie schon das gedruckte Flugticket ausstirbt, es ist viel zu klein, um es in der Streikfront den Knechten des Monopolkapitals telegen entgegenzurecken, und die Stempel der Kassierer in den Ortsvereinen („Beitrag bezahlt“) sind sowieso längst durch Einzugsermächtigungen ersetzt.

Möglicherweise rührt aus dieser Sachlage die relative Kühle, mit der ein Sprecher der saarländischen SPD die Frage beantwortet, was denn nun mit dem Parteibuch geschehe, das Oskar Lafontaine zurückgegeben habe? Das, sagt er, sei Eigentum der SPD und werde wie üblich vernichtet. Das mag so sein, aber gewiss nicht immer. Denn Willy Brandts Parteibuch beispielsweise, eine SPDReliquie, wird in einer Dauerausstellung in Berlin gezeigt, und wenn irgendein Mitarbeiter es vorher vernichtet hätte, wäre er mit dem Anhören von Ernst-Busch-Liedern nicht unter drei Wochen bestraft worden.

Bei Oskar L. liegen die Dinge nicht völlig anders. Er war immerhin mal Parteivorsitzender, galt als Vorzeigeenkel seiner Generation. Doch durch seine Abwendung von der SPD ist auch sein Parteibuch kontaminiert, es kann vermutlich kaum noch öffentlich gezeigt werden, ohne gerade junge und jüngste Sozialdemokraten in Gefahr zu bringen. Ja, wir könnten uns sogar vorstellen, dass es im Castor von Saarbrücken nach Berlin in die zentrale Wiederaufarbeitungsanlage „Agenda 2010“ gebracht und im Abklingbecken…

Doch es kann vorher noch so viel Gutes tun. Sie haben bei Ebay den Golf von Joseph Ratzinger für fast 190000 Euro vertickt. Zugegeben: Ratzinger ist heute Papst, und Lafontaine nicht einmal mehr Chef der sozialdemokratischen Glaubenskongregation. Doch dafür ist ein gerade retourniertes Parteibuch symbolisch bedeutend höher einzuschätzen als ein altes Auto. Sagen wir: 50000 als Mindestgebot?

Als Ersteigerer kämen ein paar exzentrische Millionäre in Betracht, die sich damit einen kleinen Ablass gegen künftige Steuerverkürzungen verschaffen würden. Aber es wäre auch eine tückische Waffe im Talkshow-Geschäft. „Schauen Sie“, könnte Gregor Gysi Franz Müntefering triumphierend entgegenschleudern, „hier habe ich das Parteibuch von einem Ur-Sozialdemokraten, den es aus gutem Grund nicht mehr in dieser Partei gehalten hat!“ Und Heiner Geißler würde verblüfft rufen: „Sie waren das, der mich da überboten hat!“

Bedenkliche Aussichten. Am besten ist, sie stecken es doch in Saarbrücken in den Reißwolf. bm

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