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Politik: … Polen noch nicht verloren hat

Walter Jens, der kluge Misanthrop, hat vor Jahren, als es um die Identitätsfindung der Deutschen noch eine Spur komplizierter bestellt war als heutzutage, mal gesagt, man müsse sich im Fernsehen bloß die verstockten Gesangsübungen deutscher Fußballer beim Abspielen der Nationalhymne anschauen, dann habe man doch schon einen recht präzisen Einblick in den Seelenzustand der Nation. Selbst auf’m Platz, wollte Jens damit wohl sagen, führe der Weg über sehr viel Krampf zum Spiel, identitätsmäßig jedenfalls.

Walter Jens, der kluge Misanthrop, hat vor Jahren, als es um die Identitätsfindung der Deutschen noch eine Spur komplizierter bestellt war als heutzutage, mal gesagt, man müsse sich im Fernsehen bloß die verstockten Gesangsübungen deutscher Fußballer beim Abspielen der Nationalhymne anschauen, dann habe man doch schon einen recht präzisen Einblick in den Seelenzustand der Nation. Selbst auf’m Platz, wollte Jens damit wohl sagen, führe der Weg über sehr viel Krampf zum Spiel, identitätsmäßig jedenfalls.

Tempi passati. Präziser als so mancher öffnende Pass ist heutzutage in der Regel der Vortrag unserer Jungs – das „Lied der Deutschen“ gilt quasi als erste Standardsituation auf dem Rasen, problemlos zu bewältigen, wie sonst nur noch die Ecke auf den kurzen Pfosten. Wenn sich also nicht gerade irgendeine vorsingende Schlager-Nudel im Text verhaut (… äh, wie nun: Blüh im Glanze? Brüh im Lichte? Oder was jetzt?), dann sind in puncto Hymne etwaige Irritationen schon seit geraumer Zeit praktisch ausgeschlossen.

Umso interessanter der Fakt, dass sich am Dienstagabend in Leverkusen ausgerechnet unser Poldi („Ich bin der Lukas, ich mach der Ball rein!“) dem nationalen Chorus mit zusammengepressten Lippen standhaft verweigerte. Weil er gar kein richtiger Deutscher ist, und die Hymne in ihrer Aussage für zu schlapp hält? Möglich. Daheim bei Poldi in Polen (und demnächst, 14. Juni, in Dortmund) singen sie immerhin: „Was uns fremde Mächte tückisch raubten, werden wir uns mit dem Schwert zurückholen.“ Kein schlechter Text, oder? Gut bei Ballverlust nach einem nicht gepfiffenen Foul – oder auch, wenn dem Trainer für die Halbzeitansprache nichts mehr einfällt.

Oder die Iraner. Singen: „Oh Märtyrer, es hallt wieder im Ohr der Zeit euer Schmerzensschrei“, was sich, beispielsweise, ideal als Flankierung für die Schwalbe im Strafraum eignet. Und die Italiener? Können ihren Catenaccio aufbauen und dabei vor sich hin summen: „Lasst uns die Reihen schließen. Wir sind bereit zum Tod, wir sind bereit zum Tod.“ Selbst die Ghanaer müssen bei der WM nicht die üblichen Geschenke verteilen, sondern können sich ihre zweite Luft gemäß der Vorgabe ihrer Hymne holen: „Steht auf, steht auf, oh Söhne des Landes Ghana, und marschiert immerfort im Namen Gottes!“

Gut, all das mag dem Poldi durch den Kopf geschossen sein. Gesagt hat er hinterher nur: „Ich singe erst zum WM-Auftakt mit“ – was so viel heißt wie: Wenn’s wichtig wird, ist mir das schon Recht mit der Einigkeit und der Freiheit. Vbn

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