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Politik: ... tätä tätätää tä tääääää tä!

Wir müssen uns die Eurovision als eine Art medientechnische Fortsetzung der AdenauerPolitik vorstellen. Westbindung auf allen Ebenen war das Ziel – im Fernsehen wurde sie ohne viel Getue hergestellt und durch das „Te Deum“ von Charpentier göttlich gewürzt: tä tä tätätää tä tääääää tä.

Wir müssen uns die Eurovision als eine Art medientechnische Fortsetzung der AdenauerPolitik vorstellen. Westbindung auf allen Ebenen war das Ziel – im Fernsehen wurde sie ohne viel Getue hergestellt und durch das „Te Deum“ von Charpentier göttlich gewürzt: tä tä tätätää tä tääääää tä. Kein Deutscher jenseits der 40 kann sich diese Musik anhören, ohne sofort an Kulenkampff und seine kurzberockten Assistentinnen zu denken. Die Deutschen unter 40 allerdings sagen: Eurovision? Was ist das denn? Hat mit diesem Sängerwettbewerb zu tun, nicht wahr?

Liebe Kinder: Am morgigen Sonntag ist es 50 Jahre her, dass acht europäische Länder sich zusammenschalteten, um einen echten Kracher aus der Schweiz zu übertragen, das Narzissenfest in Montreux. Das war vermutlich kein Straßenfeger, und Narzissen in Schwarzweiß, nun ja. Doch offenbar weckte es das Bewusstsein, Europa könnte mehr sein als ein geografischer Sammelbegriff, wenn da die Techniker auf den Dächern internationaler Funkhäuser standen und Sendeantennen herumdrehten, nur um einen Haufen Narzissen ins Bild zu rücken. Und dann war es ja auch nicht mehr weit bis zu jenem Tag, da sich die Kameras eurovisionär auf den Rasen des Berner Wankdorf-Stadions richteten. Später kam der Schlager-Grand-Prix dazu und mit ihm die Erkenntnis, dass deutsches Liedgut wieder eine Macht darstellt im internationalen Frohsinnsgefüge. Alles zusammen Zutaten der deutschen Nachkriegs-Ursuppe, aus der das Wirtschaftswunderland erwuchs wie ein neuer Planet im All.

Seitdem ist dem System das Visionäre abhanden gekommen. Es funktioniert halt, bindet die Rundfunknetze von 48 Ländern zusammen. Viel Geld fließt hindurch für Sportrechte, zum Jahresende schmettern die Wiener Philharmoniker ihre Walzer um die Welt. Nur der Grand Prix, zum „Song Contest“ mutiert, gewinnt durch jede neue Narretei der Beteiligten wundersam weiter an Quote und Resonanz.

Wo aber ist das Kulenkampff-Gefühl? Die Idee, einem Ereignis beizuwohnen, für das wir Freunde einladen und mit ihnen sogar eine Erdnuss-Flips-Vergiftung riskieren würden? Die wahre Eurovision besteht heute darin, dass sich jemand ein strunzdummes Sendekonzept ausdenkt, das von Land zu Land, von Privatsender zu Privatsender so lange weitergereicht wird, bis alle nur noch würgend nach der Fernbedienung suchen. Demnächst sendet die 50-jährige Eurovision wieder Fußball, die EM rauf und runter. Ob sich das Wunder von 1954 wiederholt? bm

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