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Politik: … wir den Mantel der Geschichte erhaschen

Das „kleine Schwarze“, das Audrey Hepburn in „Frühstück bei Tiffany“ trug ist am Dienstag für 410 000 Pfund über den Auktionstisch von Christie’s in London gegangen. Selbstredend ist der Fummel von zeitloser Eleganz, er hing allerdings auch schon ein wenig länger im Schrank.

Das „kleine Schwarze“, das Audrey Hepburn in „Frühstück bei Tiffany“ trug ist am Dienstag für 410 000 Pfund über den Auktionstisch von Christie’s in London gegangen. Selbstredend ist der Fummel von zeitloser Eleganz, er hing allerdings auch schon ein wenig länger im Schrank. Vor dem Tragen müsste er wahrscheinlich mal gelüftet werden.

Auch wenn es sich hier im speziellen Fall um ein Kleid handelt – die Zahl derer wächst ja kontinuierlich, die in irgendeiner Form wenigstens einmal im Leben so etwas Ähnliches wie jenen „Mantel der Geschichte“ erhaschen wollen, von dem unser Ex-Kanzler des öfteren sprach. Nee, nicht Schröder – Kohl.

Egal. Das Kleid. Der Mantel. Gerne auch der Tellerrand, dann jedenfalls, wenn ein entsprechendes Kleidungsstück darüber weggeweht ist – anzufassen gibt es genug. Die Internetbörsen sind voll davon: die Puderdose von Margot Honecker, Daniel Küblböcks erstes Dreirad, alles ziemlich zeitlos, sicher, aber eben auch viel Ramsch dabei.

Ob das ganze Zeug im Zweifel „Mantel der Geschichte“-tauglich ist, ist letztlich Definitionssache. Leichter ist es – und nicht minder gefühlig – wenn man sich an Orte begibt, wo selbiger geweht hat, gerne auch in der Erwartung, fortan besonders inspiriert zu sein vom Genius loci.

Das Kleid. Der Mantel. Der Tellerrand. Zeit, dass wenigstens irgendetwas weht. Im englischen Sheffield ist nun eine neue Spielart aufgetaucht und, bitte, man muss sich ernsthaft Sorgen machen, wo das alles noch hinführen soll mit der ganzen Bedeutungshuberei. In Sheffield jedenfalls erlebt das Restaurant „Polonium“ dieser Tage einen Boom, wie nie zuvor in seiner 28-jährigen Existenz. „Die Leute rennen uns die Bude ein“, hat gerade der Inhaber des Lokals, Boguslaw Sidorowicz in der „FAZ“ zu Protokoll gegeben und, wohl auch, weil es sich um eine Wirtschaftszeitung handelt, gleich noch nachgeschoben: Umsatzplus von 40 Prozent!

Am preiswerten Vier-Gänge-Menü liegt das eher nicht, mutmaßlich aber an dem, was Sidorowicz mit den Worten beschreibt: „Manchmal scheint des einen Pech des anderen Glück zu sein.“

Ja, manchmal ist das wohl so. Polonium heißt das Zeug, das den früheren Spion Alexander Litwinenko tödlich verstrahlt hat. Es ist, obwohl geschmacklos, derzeit sozusagen in aller Munde. Vielleicht sollte Sidorowicz schon mal über seine Öffnungszeiten nachdenken. Gut möglich, dass demnächst jemand im schwarzen Kleid vorbeischaut und mit Blick auf die Karte fragt: Warum gibt’s hier kein Frühstück? Vbn

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