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Rechtsanwältin Seda Basay-Yildiz

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100 Tage NSU-Prozess: Seda Basay-Yildiz: „Ich bin wütend“

Rechtsanwältin Seda Basay-Yildiz fühlt sich nicht mehr als Teil der deutschen Gesellschaft. Auch das Vertrauen in den Rechtsstaat hat sie verloren.

Von Frank Jansen

Wie fühlen Sie sich nach bald 100 Tagen NSU-Prozess?

Ich bin abgekämpft, da der Prozessstoff unglaublich viel ist und die restliche Büroarbeit am Wochenende erledigt werden muss. Ich bin enttäuscht, da viele Fragen offen bleiben, weil die Bundesanwaltschaft von der anfangs versprochenen Transparenz nichts mehr wissen will und Akten nicht herausgegeben werden. Ich bin verärgert, weil sich immer weniger Menschen für dieses Verfahren interessieren und es Leute in diesem Land gibt, die mit dem Begriff „NSU“ immer noch nichts anfangen können. Ich bin nachdenklich, weil ich zum ersten Mal das Gefühl habe, dass ich kein Teil dieser Gesellschaft bin und es auch niemals sein werde. Ich bin betroffen, wenn ich höre, wie rechtsextreme Zeugen über Ausländer sprechen. Ich bin verbittert, weil ich den Eindruck habe, dass dieser Prozess nicht zur Aufklärung beitragen wird.

Wie ertragen Sie die Bilder der getöteten Opfer?

Schwer, denn ich stelle mir vor, dass einer meiner Familienangehörigen zur falschen Zeit an einem falschen Ort hätte sein können. Ich bin wütend, weil der so genannte Rechtsstaat nicht imstande war, seine Bürger zu schützen.

Welcher Verhandlungstag war für Sie der härteste?

Trotz aller Professionalität muss ich sagen, dass ich sehr ergriffen war, als Ismail Yozgat im Oktober über den Mord an seinem Sohn Halit in dessen Internetcafé in Kassel berichtete. Wie er Halit im Arm hielt und merkte, dass sein „Lämmchen“ gestorben war. In dem Augenblick habe ich tiefe Verachtung empfunden für die Menschen, die ihm das angetan haben.

Im Prozess wird ab und zu auch gelacht. Stört Sie das oder lachen Sie mit?

Ja, es stört mich sehr. Natürlich geht das Leben weiter, aber ich habe kein Verständnis dafür. Hier sind unschuldige Menschen hingerichtet worden. Da gibt es nichts, aber auch gar nichts zu lachen.

Hat die Hauptverhandlung Ihr Leben und das Ihrer Angehörigen verändert?

Mich persönlich hat es sehr nachdenklich gemacht. Ich habe mich vor diesem Verfahren nie mit Rassismus beschäftigt und war wenig damit konfrontiert. Dieses Verfahren hat mir vergegenwärtigt, dass ich niemals zu dieser Gesellschaft gehören werde. Zum einen ist mir bewusst geworden, dass es Menschen gibt, die mir mein Existenzrecht und das meiner Mandanten in Deutschland streitig machen, zum anderen habe ich anfangs nicht nachvollziehen können, warum in der Presse zwischen deutschen und „türkischen“ Anwälten unterschieden wurde. Es sind alles deutsche Anwälte, die an diesem Verfahren beteiligt sind. Nach einer wichtigen Beweisaufnahme am Ende eines Verhandlungstages wurde ich statt über den Prozess gefragt, was ich zum EU-Beitritt der Türkei zu sagen habe. Sowas macht mich sprachlos.

Welche Lehren ziehen Sie für sich und Ihre Arbeit aus dem Prozess?

Mein Vertrauen in diesen Rechtsstaat ist zerrüttet. Zunächst muss ich als Anwältin dem Rechtsstaat vertrauen, damit ich meine Mandanten auch davon überzeugen kann. Ich habe als so genanntes Gastarbeiterkind der ersten Generation sehr hart gearbeitet, um so weit zu kommen. Ich habe aus tiefstem Herzen an diesen Rechtsstaat geglaubt und an den Grundsatz, dass vor dem Gesetz alle gleich sind. Natürlich ist mir aus meiner beruflichen Tätigkeit nicht fremd, dass gerade meine Mandanten mit Migrationshintergrund mit vielen Vorurteilen zu kämpfen haben. Aber das Ausmaß ist mir erst bewusst geworden, als ich die Akten in diesem Verfahren gelesen habe und bemerkte, wie die Polizei die Opfer kriminalisiert hat. Es machte mich fassungslos.

Außerdem wurde am Anfang des Verfahrens viel Transparenz versprochen. Nunmehr finde ich es sehr mühsam, wenn Akten seitens der Bundesanwaltschaft aus fadenscheinigen Gründen nicht herausgegeben werden. Es dürfen gerade in diesem Verfahren keine, aber auch wirklich gar keine Fragen offen bleiben.

Haben Sie noch Kraft für weitere 100 Tage?

Ja. Auch wenn es sehr ermüdend ist. Ich bewundere die Witwe Adile Simsek und andere Opferangehörige für ihre Ruhe. Daraus schöpfe ich meine Kraft.

Seda Basay-Yildiz ist Anwältin in Frankfurt / Main und vertritt Angehörige des am 9. September 2000 in Nürnberg erschossenen Blumenhändlers Enver Simsek.

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