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Ohnesorg

© AKG

1967: Ohnesorgs Todesschütze war IM

Der frühere Polizeibeamte Karl-Heinz Kurras, der am 2. Juni 1967 den Studenten Benno Ohnesorg erschoss, soll unter dem Decknamen "Otto Bohl" jahrelang für die Stasi gearbeitet haben.

Berlin - Das Foto von dem blutenden jungen Mann auf dem Betonboden vor einem VW-Käfer, das entsetzte Gesicht der jungen Frau mit den großen Ohrringen, die sich besorgt über den Verletzten beugt – diese Aufnahme des Berliner Fotografen Jürgen Henschel gehört zu den bekanntesten und wirkungsmächtigsten Fotos der Republik. Möglicherweise wird die Erklärung zu diesem Foto zukünftig einen Zusatz erhalten: „Der Berliner Polizist, der den Studenten Benno Ohnesorg erschoss, war Mitglied der SED.“

Das geht aus der Untersuchung zweier Mitarbeiter der Birthler-Behörde, Cornelia Jabs und Helmut Müller-Enbergs, hervor, die in der jüngsten Ausgabe der Zeitschrift „Deutschland-Archiv“ (3/2009) veröffentlicht wird. Erkenntnisse über einen vom MfS bestellten Auftragsmord sind der Akte nicht zu entnehmen. In einer Beurteilung heißt es jedoch, Kurras besitze „Mut und Kühnheit, um schwierige Aufgaben zu lösen“. Allerdings wurde seine „besondere Neigung zum Schießsport“ als „charakterliche Schwäche“ betrachtet.

Der Untersuchung zufolge hatte Kurras, der seit März 1950 als Polizeimeister in Berlin-Charlottenburg tätig war, 1955 in Ost-Berlin versucht, zukünftig für die „Deutsche Volkspolizei“ tätig zu sein. Es bedurfte einer „gründlichen Aussprache“, Kurras vom Verbleib bei der West- Berliner Polizei zu überzeugen. Wohl in diesem Zusammenhang wurde Kurras vom Ministerium für Staatssicherheit als Inoffizieller Mitarbeiter angeworben.

Fortan soll Kurras unter dem Decknamen „Otto Bohl“ über Jahre höchst sensible Informationen aus dem Bereich der Westberliner Polizei an das MfS geliefert haben. Treffpunkt war häufig das Schleusen-Café am Landwehrkanal im Tiergarten. 1960 wechselte Kurras zur Kriminalpolizei und kam so seinem eigentlichen Ziel, der Politischen Polizei, einen großen Schritt näher, was ihm im Januar 1965 schließlich gelang. Dort gehörte Kurras einer Sonderermittlungsgruppe an, die sich mit der „Suche nach Verrätern in den eigenen Reihen“ befasste.

Für seine Dienste soll Kurras in den 50er Jahren Beträge zwischen 550 und 1900 DM jährlich erhalten haben. 1966 steigerte sich der Betrag auf 4500 DM und in den ersten fünf Monaten des Jahres 1967 erhielt Kurras 3000 DM, die letzte Zahlung erfolgte am 17. Mai, rund zwei Wochen vor dem tödlichen Schuss auf Benno Ohnesorg. Wenige Tage nach dem 2. Juni 1967 funkte das MfS an Kurras, er möge seine Arbeit vorerst einstellen. Weiter heißt es da: „Betrachten Ereignis als sehr bedauerlichen Unglücksfall.“ Kurras solle sich „nach Abschluss der Untersuchungen selbständig melden“. Kurras soll diesen Funkspruch bestätigt haben und mitgeteilt haben, dass er Geld für einen Anwalt benötige, ein Problem, das Kurras später durch die großzügige Unterstützung der Gewerkschaft der Polizei lösen konnte. Das MfS brach die Zusammenarbeit „aus Gründen der Sicherheit“ ab.

Im März 1976 soll sich Kurras darum bemüht haben, die alte Verbindung wieder aufzunehmen. Seine Darstellung des tödlichen Schusses auf Benno Ohnesorg liest sich in der MfS-Akte folgendermaßen: „Die Situation wurde zu einer reinen Existenzfrage, zu der Frage, ob Leben oder Tod. Aus diesem Grunde hat er so gehandelt. Sein Leben war durch das Angreifen der Radikalen mit einem offenen Messer gefährdet. Der Kurras sagte sinngemäß, daß er sich nichts vorzuwerfen hatte und nichts bereut. (…) Seine Darlegungen zum bekannten Vorkommnis trug er sehr impulsiv vor. Aus der Art und Weise seiner Bemerkungen kann geschlußfolgert werden, daß der Kurras von der Richtigkeit seiner Handlungsweise überzeugt ist, kein Mitleid in irgendeiner Form hat und die Handlungen der anderen beteiligten Personen verurteilt.“ Zu einem weiteren Treffen ist es dann offensichtlich nicht mehr gekommen. Die Darstellung des Geschehens vom 2. Juni 1967 durch Kurras wurde vom MfS intern in Zweifel gezogen, da man Zeugenaussagen vorliegen hatte, die einen anderen Tatablauf nahelegten.

Karl-Heinz Kurras lebt heute 81-jährig in Berlin-Spandau. In zwei Verfahren wurde er 1967 und 1970 vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung freigesprochen. Der Tod Benno Ohnesorgs gilt gemeinhin als Initialzündung für die Radikalisierung der Studentenbewegung in den darauffolgenden Monaten. Wenig umstritten ist auch, dass der Tod Benno Ohnesorgs zur Entstehung des Terrorismus in der Bundesrepublik beigetragen hat. Vom Tagesspiegel mit den neuen Vorwürfen konfrontiert, streitet Kurras ab, jemals mit dem MfS kooperiert zu haben. Demnach müssten jedoch sein SED-Ausweis, seine handschriftliche Verpflichtungserklärung aus dem Jahre 1955 und eine mehrbändige Kurras-Akte, die in der Birthler-Behörde lagert, gefälscht worden sein. Warum das MfS eine Zusammenarbeit ausgerechnet mit Kurras erfinden sollte, erscheint schwer nachvollziehbar.

Uwe Soukup

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