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Ayse Yozgat, Mutter des NSU-Opfers Halit Yozgat, appelliert im Gerichtssaal an Beate Zschäpe.

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Update

42. Verhandlungstag im NSU-Prozess: Mutter des Kasseler NSU-Opfers appelliert an Beate Zschäpe

„Denken Sie bitte an mich, Frau Zschäpe“: Am 42. Verhandlungstag des NSU-Prozesses richtet Ayse Yozgat, Mutter des Opfers Halit Yozgat, das Wort direkt an Beate Zschäpe. Sie bittet um Aufklärung und appelliert an Zschäpe als Frau. Die scheint ihr aufmerksam zuzuhören.

Ayse Yozgat bittet Richter Manfred Götzl darum, sprechen zu dürfen. Dann richtet sie ihre Worte direkt an Beate Zschäpe. „Mein Appell richtet sich an Frau Zschäpe“, beginnt sie. Ayse Yozgat ist die Mutter von Halit Yozgat. Der 21-Jährige wurde am 6. April 2006 in seinem Internetcafé in Kassel durch zwei Kopfschüsse getötet. Er ist das neunte Mordopfer des NSU.

Am 42. Tag des NSU-Prozesses spricht seine Mutter zu der Frau, die mit den Mördern ihres Sohnes zusammenlebte und laut Anklage wusste, dass sie aus rassistischen Motiven mordend durchs Land zogen. Die Mutter sagt zu Zschäpe: „Ich bitte Sie, dass Sie all diese Vorfälle aufklären. Weil Sie eine Frau sind, denke ich, dass die Frauen sich gegenseitig verstehen.“ Sie berichtet von den schlaflosen Nächten, die sie seit dem Mord an ihrem Sohn plagen. „Seit sieben Jahren schlafe ich jeweils nur zwei Stunden“, sagt sie. Ayse Yozgat spricht Türkisch, ein Dolmetscher übersetzt ihre Worte für Zschäpe und all die anderen im Saal.

"Denken Sie daran, dass ich nicht schlafen kann"

„Jeder kann Straftaten begehen, aber ich bitte Sie um Aufklärung“, sagt Ayse Yozgat. „Befreien Sie mich bitte von diesen Gefühlen, denn ich fühle mich sehr stark beeinträchtigt.“ Sie spricht von „Sünden“ der anderen, die Zschäpe nicht übernehmen solle, bedankt sich und schließt mit den Worten: „Denken Sie bitte immer an mich, wenn Sie sich ins Bett legen. Denken Sie daran, dass ich nicht schlafen kann.“

Beate Zschäpe guckt Ayse Yozgat nicht direkt an. Vielleicht könnte sie es nicht, auch wenn sie wollte. Ayse Yozgat sitzt ganz am Rand unter den rund 50 Nebenklagevertreter. Aber Zschäpe richtet ihre ganze Aufmerksamkeit auf die Videoleinwand direkt vor sich. Dort sieht sie die Frau mit dem bunten Kopftuch, die zu ihr spricht, überlebensgroß.

Und Zschäpe scheint ihr sehr genau zuzuhören. Sie sitzt sehr aufrecht auf ihrem Stuhl und verharrt noch einen Moment in dieser Position, als die letzten Wort der trauernden Mutter bereits verklungen sind.

Die Yozgats ertragen die Ausführungen nicht länger

Wenig später berichten Gutachter, wie Halit Yozgat starb. Der erste Schuss traf ihn in die rechte Schläfe. Er saß wohl hinter seinem Schreibtisch, als die Mörder gegen 17 Uhr sein Internetcafé betraten. Nach dem ersten Schuss verlor er das Bewusstsein, den zweiten Schuss rechts in den Hinterkopf hat er schon nicht mehr mitbekommen. Auch nicht seinen Sturz vom Stuhl. So sagt es der Göttinger Rechtsmediziner. Kann es für Eltern ein Trost sein, dass der Tod schnell und wohl schmerzlos kam? Ayse und Ismail Yozgat ertragen die Ausführungen jedenfalls nicht länger und verlassen den Saal. Zschäpe guckt auf die Tatstatur ihres Laptops, sie hält sich ihre Hände an die Wangen, ihre Haare verdecken ihr Profil.

Halit Yozgat war das letzte Opfer der Mordserie an neun türkisch- und griechischstämmigen Männern. Nach dem Selbstmord von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos am 4. November 2011 gilt Zschäpe als letzte Überlebende des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU). Vor dem Oberlandesgericht München muss sich die 38-Jährige wegen sämtlicher Taten, die dem NSU zur Last gelegt werden, verantworten. Doch ihr die Mittäterschaft an den Morden nachzuweisen ist keine leichte Aufgabe für das Gericht. Dass der Ehemann einer möglichen Belastungszeugin am Mittwoch Zweifel an der Aussage seiner Frau äußert, macht es nicht leichter.

Veronika von A. will Zschäpe mit den Uwes und einem „Skinhead“ 2006 kurz vor dem achten NSU-Mord am 4. April 2006 in Dortmund gesehen haben. Die Frau hatte am Montag vor Gericht ausgesagt. Sie sei sich sicher, dass es Zschäpe gewesen sei, die sie etwa fünf Minuten lang mit dem Fernglas im Nachbargarten betrachtet habe.

Ihr Mann bestätigt, dass seine Frau ihm diese Beobachtung mitgeteilt habe. Sie habe auf Fotos von Zschäpe im November 2011 die Frau aus dem Garten wiedererkannt. Seine Frau habe ihm gesagt, sie habe Zschäpe „100-protzentig“ erkannt. Der 66-jährige Historiker sagt auch, dass seine Frau „eine sehr gute Beobachtungsgabe“ habe. Er sei „geschockt und entsetzt“ gewesen über ihre Mitteilung, habe dann aber doch das Thema ruhen lassen. Es sei die Sache seiner Frau gewesen, sich mit ihrem Wissen an die richtigen Stellen zu wenden. Sie tat es erst Mitte 2012.

Richter Götzl hakt immer wieder nach, hinterfragt die gut eineinhalbstündige, sehr umständliche Erzählung des Zeugen, dessen Sätze immer wieder im Nichts enden. Irgendwann spricht er von „Restzweifeln“. Er begründet es wieder umständlich mit allgemeinen Studien zu Zeugenaussagen. Außerdem habe ja nicht er Zschäpe gesehen, sondern seine Frau, weswegen er nicht von „100 Prozent“-Sicherheit sprechen könne, sondern nur von vielleicht „95 Prozent“. „Wenn man es selbst nicht gesehen hat, gibt es immer Restzweifel“, sagt er.

Bisher stützt sich die Anklage wegen Mittäterschaft im Wesentlichen darauf, dass Zschäpe ihren beiden Lebensgefährten in Zwickau ein gemütliches Heim bereitet und nach Außen die Fassade der Normalität aufrechterhalten haben soll. Die Aussage von Veronika von A. rückt Zschäpe sehr nah an einen der Tatorte. Es wäre ein wichtiges Indiz. Aber nach der Aussage ihres Mannes haben wohl auch alle anderen im Saal Restzweifel.

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