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Abgelehnte Asylbewerber werden in Leipzig zum Transport zum Flughafen abgeholt.

© picture alliance / Sebastian Wil

Nach dem Anschlag in Kabul: Abgeschoben in ein brennendes Land

Fast täglich erschüttern Anschläge Afghanistan, Islamisten befinden sich im Land am Hindukusch auf dem Vormarsch. Müssen Abschiebungen nach Afghanistan gestoppt werden?

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Der Anschlag in Kabul nahe der deutschen Botschaft hat die Debatte um die Sicherheit im Land am Hindukusch neu befeuert – und damit auch die Diskussion über deutsches Asyl für Afghanen.

Wie gefährlich ist die Lage?
Aus Sicht des Auswärtigen Amts ist sie hochriskant – jedenfalls für Besucher. In seinen am Mittwoch aktualisierten Reisewarnungen stellt das Amt fest: „Bombenanschläge, bewaffnete Überfälle und Entführungen gehören seit Jahren in allen Teilen von Afghanistan zum Angriffsspektrum der regierungsfeindlichen Kräfte.“ Ganz anders das Bundesinnenminsterium, das – wenn es um Abschiebungen geht – betont, es gebe sichere Gebiete. Als im Frühjahr mehrere rot-grün regierte Bundesländer Abschiebestopps nach Afghanistan verhängten, kritisierte Minister Thomas de Maizière diese (CDU) denn auch: Die Sicherheitslage sei „kompliziert, aber es gibt sichere Orte“.

Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU) sekundierte, es gebe „sehr wohl Städte und Regionen, in denen Rückkehrer in Sicherheit leben können“. Kenner der Lage vor Ort halten die Sicherheitslage allerdings für hochexplosiv. Das UN-Flüchtlingshilfswerk nannte die sinkenden Zahlen afghanischer Asylbewerber in Deutschland im Dezember 2016 „erstaunlich“. Denn die Situation im Land habe sich „nochmals deutlich verschlechtert“. So seien die Taliban vermehrt zu Großangriffen übergegangen, vor allem in den Städten. Gleichzeitig seien Familien und Einzelne weiter von gezielter Gewalt bedroht. Die Unterscheidung zwischen sicheren und unsicheren Gebieten, so das Flüchtlingshilfswerk, sei nicht zu treffen, weil die Situation sich permanent verändere.

Gewinnen militante Islamisten immer mehr Einfluss?
Deutsche Sicherheitskreise nennen drei Terrorvereinigungen, die für den Angriff verantwortlich sein könnten: die Taliban, der „Islamische Staat“ (IS) und Al Qaida. Auch wenn ein Sprecher der Taliban jede Beteiligung seiner Organisation an dem Angriff zurückwies, sei keineswegs auszuschließen, dass sie dafür verantwortlich sein könnte, heißt es. Die aktuelle Zahl der Taliban-Kämpfer beziffern Sicherheitsexperten mit 30 000 Mann.

Der IS komme für den Anschlag in Betracht, weil er in Afghanistan schon mehrere schwere Anschläge verübt habe und versuche, den Taliban Konkurrenz zu machen. Sicherheitskreise sprechen von 1500 bis 2500 IS-Aktivisten in Afghanistan und angrenzenden Regionen. Aber auch Al Qaida könnte hinter dem Anschlag stecken, sagen Experten. Die mit den Taliban verbündete Al Qaida sehe sich ebenfalls durch den IS unter Druck gesetzt – nicht nur in Afghanistan, sondern global.

Deshalb müsse Al Qaida zeigen, „dass sie in der Lage sind, weiterhin komplexe Anschläge durchzuführen“. Der letzte Angriff von Al Qaida, der weltweit wahrgenommen wurde, war der Anschlag vom Januar 2015 auf die Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ in Paris. Zu der Attacke bekannte sich der jemenitische Ableger der Terrorvereinigung.

Wie ergeht es afghanischen Flüchtlingen in Deutschland?
Afghanistan ist seit Jahren ein Haupt-Herkunftsland von Flüchtlingen. Im vergangenen Jahr und in den ersten vier Monaten dieses Jahres kamen – nach Syrien – die meisten Asylbewerber von dort. Davor lagen lediglich jene Balkanländer, die inzwischen als erklärte „sichere Herkunftsländer“ aus der Statistik herausgefallen sind. Weltweit war Afghanistan mehr als drei Jahrzehnte lang das Land mit den meisten Flüchtlingen, bis es 2015 durch Syrien abgelöst wurde.
Schutz erhalten afghanische Flüchtlinge jedoch immer seltener.

Wurde im Jahr 2015 noch 77 Prozent der Afghanen in Deutschland Aufenthalt gewährt, waren es 2016 nur noch 55,8 Prozent. In den ersten vier Monaten dieses Jahres fiel der Wert auf 47,9 Prozent. Die Flüchtlingshilfsorganisation Pro Asyl fordert, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge müsse nicht nur seine positiven, sondern auch die nicht anerkannten Asylfälle prüfen. Schutzsuchende Afghaninnen und Afghanen seien wohl zu Tausenden zu Unrecht abgelehnt worden.

Muss der Abzug der Bundeswehr-Kampftruppen rückgängig gemacht werden?
Der SPD-Wehrexperte Rainer Arnold erteilt einer Wiederaufstockung der Bundeswehrtruppen in Afghanistan eine Absage. „Mehr Fähigkeiten sind in der militärischen Logik immer besser“, sagte Arnold dem Tagesspiegel. „Aber auch dadurch können Anschläge nicht verhindert werden.“ Deutschland, das seine Kampftruppen 2014 abgezogen hatte und derzeit mit rund 900 Soldaten vor Ort ist, leiste im Vergleich zu anderen Staaten viel, sagte Arnold, „und es sollte beim derzeitigen Umfang und dem reinen Ausbildungs- und Beratungsauftrag bleiben“.

CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer warnt davor, nach dem Anschlag den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr in Frage zu stellen. „Das Land allein lassen ist auch keine Lösung“, sagt Scheuer. Bei einem Abzug drohe ein „Dominoeffekt“. Die Devise müsse vielmehr lauten: „Jetzt erst recht absichern.“

Für Grünen-Außenpolitiker Omid Nouripour macht der „schreckliche Anschlag“ deutlich, „dass die afghanischen Sicherheitskräfte bei allen Fortschritten noch Unterstützung brauchen“.

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