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Ein Ausbildungsbetrieb in Jena.

© dpa

Integration: ABM für Flüchtlinge

Allein mit Bildung und Ausbildung wird die Integration der vielen Flüchtlinge in Deutschland nicht gelingen. Es braucht eine vom Staat mitfinanzierte Beschäftigung. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Alfons Frese

Die zigtausend Ehrenamtlichen, die sich hierzulande um die Flüchtlinge kümmern, haben kürzlich eine Zahl aus der Wirtschaft staunend zur Kenntnis genommen. 54 Flüchtlinge arbeiten für die 30 großen an der Börse notierten Konzerne. 50 von den 54 sind bei der Post beschäftigt, jeweils zwei bei SAP und dem Pharmakonzern Merck.

Vor einen Jahr hatte der Daimler-Chef die Chancen vieler Geflüchteter betont, die ja nicht selten jung, gut ausgebildet und motiviert seien. Genau solche Leute suche man in der Industrie. Und in bestimmten Dienstleistungsbereichen sowieso. Wer pflegt uns im hohen Alter, wenn nicht die Migranten?

Es gibt solche und solche Migranten, darauf weist das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung in einer neuen Langzeitanalyse über die Integration im Arbeitsmarkt hin. Wer in den vergangenen 20 Jahren aus dem EU-Ausland nach Deutschland gekommen ist oder aus der Türkei, dem fällt das neue Leben anfangs leichter als Flüchtlingen. Die jedoch flohen vor Mord und Totschlag und erreichten unter lebensgefährlichen Umständen das gelobte Deutschland; dass diese Menschen belastet und beschädigt sind und länger brauchen, sich hier zurechtzufinden als „Wirtschaftsflüchtlinge“ aus Südeuropa, ist nicht überraschend. Aber es wird besser: Wenn Startschwierigkeiten überwunden und Sprachbarrieren genommen wurden, dann sind Flüchtlinge erfolgreich und erreichen zum Beispiel höhere Schulabschlüsse als „normale“ Migranten. Anders gesagt: Es braucht Zeit und Geduld.

Eine Residenzpflicht kann helfen

Und Engagement auf beiden Seiten. Arbeitsministerin Andrea Nahles betont den hohen Stellenwert von Pünktlichkeit. Das klingt ziemlich deutsch. Aber so ticken wir eben mit unserer Gründlichkeit und Zuverlässigkeit – und so erwarten wir das dann auch von den neuen Arbeitskolleginnen und -kollegen. Damit die aber überhaupt in Arbeit kommen, ist die Bleibeperspektive zu klären, die Sprache zu lernen. Dafür sind Politik und Behörden zuständig. Dann kommen Einstiegsqualifizierung, Ausbildung und Arbeit. Jetzt ist die Wirtschaft am Zug. Und das sind Konzerne sowie hunderttausende Mittelständler, Kammern und Verbände, sind Gewerkschaften und regionale Initiativen. Auf dem flachen Land, wo jeder jeden kennt, das Vereinsleben blüht und Arbeitskräfte gesucht werden, sind die Integrationsbedingungen besser als in der Anonymität und Indifferenz der Großstadt. So gesehen kann eine Residenzpflicht auch bei der Integration im Arbeitsmarkt helfen.

Der deutsche Arbeitsmarkt ist stark reguliert – durch den Gesetzgeber und die Sozialpartner. Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften prägen die Arbeitswelt. Bislang ist nicht erkennbar, ob und wie die Sozialpartner selbst Türen in den Arbeitsmarkt für Flüchtlinge öffnen. Vielmehr überwiegt die Angst, anderthalb Jahre nach Einführung des Mindestlohns, dass Flüchtlinge Opfer von Ausbeutung und Lohndumping werden – mit Folgen für die Arbeitsbedingungen im Niedriglohnsektor insgesamt, aber auch für Ausbildungs- und Qualifizierungsstandards. Allein mit Bildung und Ausbildung wird indes die Integration der Million nicht gelingen. Vom Staat mitfinanzierte Beschäftigung, gemeinnützige Arbeit kann für eine Übergangsphase helfen. So ähnlich wie ABM in den ersten Jahren nach der Wende in Ostdeutschland. Oder wollen wir auf die Dax-Konzerne warten?

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